Lockruf des Blutes
sie zu mir herum.
Augen, weit aufgerissen vor Schreck und Panik, starren zu mir auf.
Augen, die ich kenne. Von Trishs Foto.
Das kommt so unerwartet, dass ich sie beinahe wieder loslasse.
Beinahe.
Anfangs wehrt sich Trish verzweifelt. Ich habe sie völlig überrumpelt. Ich drücke sie an meine Brust, sage nichts und warte ab, bis sie sich beruhigt. Endlich gibt sie nach. Die panische Energie strömt aus ihr heraus wie Wasser durch einen Abfluss. Sie sackt resigniert in meinem Arm zusammen. Nach ein paar Augenblicken richtet sie sich schließlich auf und weicht langsam vor mir zurück.
Ich lasse sie los, nehme die Hände von ihren Schultern, bleibe aber nah genug an ihr dran, um einen weiteren panikartigen Fluchtversuch zu unterbinden. Sie ist zierlich gebaut, zerbrechlich, bekleidet mit Jeans, die lose um ihre Hüfte schlabbern, und einem übergroßen Sweatshirt. Das Haar hängt ihr offen ums Gesicht, schmutzig und ungekämmt. Ihre Fingernägel sind unlackiert und bis auf die Haut abgekaut.
Sie stößt keuchend den Atem aus und wischt sich mit dem Handrücken über die Augen. Aber sie blickt nicht zu mir auf. »Sie wissen, wer ich bin?«
»Ja.«
Wieder schnappt sie nach Luft und stößt sie pustend aus. Diesmal strafft sie aber dabei die Schultern und hebt den Blick ihrer leuchtenden Augen, um mich anzusehen. »Werden Sie mich zurückbringen?«
Ich weiß, was ich sagen sollte. Ich weiß, was ich tun sollte. Aber irgendetwas an der stillen Verzweiflung dieses Mädchens lässt Alarmglocken in mir schrillen, die alle rationalen, vernünftigen Reaktionen vertreiben. Ich zermartere mir das Hirn auf der Suche nach Worten, die diesen Teenager beruhigen könnten. Mir fällt nichts ein, außer einem ziemlich lahmen »Hast du Hunger? Wir könnten um die Ecke was essen gehen«.
Sie setzt zu einem Nicken an, macht aber dann ein Schulterzucken daraus. »Ryan holt gerade etwas zu essen. Er kommt gleich wieder.«
»Ryan?« Plötzlich hege ich den Verdacht, dass Trish vielleicht doch nicht so unschuldig ist, wie ich angenommen habe.
Das hat Trish wohl in meinem Tonfall gehört, denn jetzt runzelt sie die Stirn. »Es ist nicht so, wie Sie denken. Er hat mir geholfen. Er hat mich von …«
Sie unterbricht sich. »Herrgott. Was soll das Ganze? Wenn Sie mich ins Gefängnis stecken wollen, dann bringen wir es doch einfach hinter uns.«
Ihr Blick huscht über meine Schulter, das Aufblitzen in ihren Augen ist mir eine Warnung. Ich wirbele herum, als ein verschwommener Blitz aus Zähnen und Fell auf mich zu schießt. Ein Hund. Ein großer Hund, der offensichtlich vorhat, mir die Kehle herauszureißen.
Instinktiv reagiert das Tier in mir. Es ist haushoch überlegen. Der Hund ist ein Schäferhundmischling, gut vierzig Kilo schwer, doch mein Arm schnellt vor, und meine Hand packt ihn an der Kehle. Ich nutze seinen Schwung, um ihn zu Boden zu schleudern, und blecke reflexhaft die Zähne, bevor meine Vernunft wieder die Kontrolle übernimmt. Ich beuge mich über den Hund und übe gerade so viel Druck auf seinen Hals aus, dass er sich nicht rühren kann. Als der Adrenalinschub abebbt, werfe ich einen Blick hinter mich auf Trish und den Jungen, der plötzlich von Gott weiß woher aufgetaucht ist und nun neben ihr steht. Ihre Gesichter spiegeln dieselben Gefühle – Schreck, Angst, Verwirrung über das, was sie eben gesehen haben, und völlige Ratlosigkeit, wie sie mit der Situation umgehen sollen.
»Ich nehme an, du bist Ryan«, sage ich, um das entsetzte Schweigen zu brechen. »Würdest du bitte deinen Hund zurückpfeifen?«
Kapitel 14
E iner der Vorteile daran, zum Vampir zu werden, liegt darin, dass die eigenen körperlichen Fähigkeiten ungeheuerlich gesteigert werden. Dinge wie Schnelligkeit und Kraft. Der Vorfall mit dem Hund ist so schnell vorbei, dass die beiden fassungslosen Teenager, die Zeugen des kurzen Kampfes werden, buchstäblich ihren Augen nicht trauen. Ryan ist der Mund offen stehen geblieben, und Trishs ungläubiger, belemmerter Gesichtsausdruck wäre geradezu komisch, wenn mir die Umstände nicht allmählich so auf die Nerven gehen würden.
»He, Ryan!«, herrsche ich den Jungen an. Der Hund erholt sich allmählich von seinem Schrecken, er windet sich und knurrt und versucht, meine Hände abzuschütteln. »Ich meine es ernst. Ruf deinen Hund zurück, sonst muss ich ihm weh tun.«
Der Junge kommt endlich zu sich. Sein Mund öffnet und schließt sich ein paar Mal, ehe er die Worte herausbringt. »Cujo.
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