Lockruf des Blutes
besorgtem Blick wendet er sich Trish zu. Er nimmt ihr die Kleider aus den Händen und sagt: »Das mit deiner Freundin Barbara tut mir sehr leid. Und es tut mir leid, dass du so viel durchmachen musstest.«
Sie schnappt nach Luft, und ihr Gesichtsausdruck wandelt sich von reserviertem Misstrauen zu offenem Argwohn. »Woher wissen Sie …« Dann verzerrt sich ihr Gesicht. »Barbara. Sie hat es Ihnen also doch erzählt? Dann wissen Sie ja jetzt, dass alles meine Schuld ist. Sie ist tot, und es ist meine Schuld.«
Trish schluchzt so heftig, dass ihr ganzer Körper bebt, und nun, da sie ihrem Kummer einmal nachgegeben hat, überwältigt er sie. Sie begräbt das Gesicht in den Händen und lässt den Tränen freien Lauf.
Ich weiß nicht, was ich tun soll. Ich berühre ihre Schulter, doch diesmal lehnt sie sich nicht an mich. Sie weicht zurück, und ich lasse die Hand sinken. Frey und ich wissen, dass Barbara keine Chance mehr hatte, mit ihm zu sprechen. Wenn sie zu ihm gekommen wäre, würde sie jetzt noch leben. Aber wie soll ich das Trish sagen, ohne ihr erklären zu müssen, warum Frey so viel weiß?
Frey blickt von Trish zu mir. Es tut mir leid. Ich hätte besser nachdenken sollen, bevor ich den Mund aufmache. Seine Augen werden schmal. Du willst, dass sie hierbleibt.
Ja. Du kannst sie beschützen.
Das kannst du auch.
Er hat meine Absichten gelesen und teilt mir seine Missbilligung mit. Du willst dir ihre Mutter vornehmen.
Ja.
Hältst du das wirklich für klug?
Genauso klug, wie Trish dir anzuvertrauen. Ich kann sie dir doch anvertrauen, oder?
Doch bevor er antworten kann, holt Trish zittrig Atem und schluckt ihr Schluchzen herunter. Sie wischt sich mit dem Ärmel übers Gesicht. »Entschuldigung. Das wollte ich nicht.«
Freys Lächeln ist sanft und beruhigend. »Möchtest du dich ein bisschen frisch machen?«
Sie nickt. »Ja, bitte.«
Frey zeigt mit der rechten Hand nach drinnen. »Das Bad ist am Ende des Flurs. Soll ich es dir zeigen?«
Sie schüttelt den Kopf. »Nein. Ich finde es schon.« Doch bevor sie geht, wendet sie sich an mich. »Wir sollten jetzt Ryan anrufen. Er macht sich bestimmt Sorgen.«
Ryan? , fragt Frey.
Seltsamerweise hat er also nicht die ganze Geschichte aus meinem Geist aufgelesen. Vielleicht liest er nur das, was mit den stärksten emotionalen Reaktionen verbunden ist.
Das sollte ich im Kopf behalten.
Ein Freund von ihr , erkläre ich und krame mein Handy aus der Handtasche. Laut füge ich hinzu: »Gib Trish bitte deine Handynummer, damit ihr Freund weiß, dass sie in Sicherheit ist.«
Frey nennt ihr die Telefonnummer. Trish nimmt das Handy, wendet sich von uns ab und zieht sich ins Badezimmer zurück, um ihren Freund anzurufen. Gleich darauf hören wir Wasser rauschen. Trish will offenbar ganz sichergehen, dass wir ihr Gespräch mit Ryan nicht belauschen können.
Frey sieht mich vorwurfsvoll an. »Du solltest das wirklich der Polizei melden.«
»Glaub mir, das werde ich. Aber vorher möchte ich mich noch mal mit Carolyn unterhalten. Ich muss wissen, ob Trish wirklich die Tochter meines Bruders ist.«
»Weil Trish ihren Dad erwähnt hat?«
Ich nicke und weise mit einer Hand in Richtung Bad. »Kann sie hierbleiben? Es wäre ja nicht für lange.«
Er nickt. »Natürlich.«
»Frey, pass auf sie auf. Ich verlasse mich auf dich.«
Seine Mundwinkel verziehen sich zu einem angespannten Lächeln. Wenn nicht, wirst du dafür sorgen, dass es mir leidtut.
Diesmal bin ich froh, dass meine Absichten so klar zu ihm durchdringen.
Nun kommt Trish zurück und reicht mir das Handy. Sie hat sich das Gesicht gewaschen und das Haar gekämmt und hinter die Ohren gestrichen. »Ich würde gern duschen, wenn ich darf«, sagt sie zu Frey.
Er nickt, und sie sammelt ihr kleines Bündel Kleider auf.
Ich lege ihr einen Arm um die Schultern. »Ich muss jetzt gehen. Morgen früh komme ich wieder. Mr. Frey hat meine Telefonnummer.« Ich blicke zu ihm auf, und er nickt. Wusste ich es doch, dass er sich meine Nummer irgendwie besorgt hat.
Trish blickt zu mir auf. »Danke, dass Sie mir glauben«, sagt sie.
Ihre Augen wirken immer noch wie von Traurigkeit verschleiert, aber die Verzweiflung scheint nicht mehr so tief zu sein. Ich lege eine Hand auf die Kleider in ihren Armen. »Wenn das hier vorbei ist«, verspreche ich ihr, »gehen wir beide zusammen shoppen.«
Sie gestattet sich ein kleines Lächeln. »Das wäre schön.«
Ich warte, bis sie wieder im Bad verschwunden ist, um zu duschen, bevor
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