Lockruf des Verlangens (German Edition)
sich nicht einfach hinsetzen und abwarten – in Wolfsgestalt jagte er hinaus in die kalte, dunkle Nacht. Grüßte die Gefährten, an denen er vorbeikam, und ließ sich durch den Kopf gehen, was Cooper ihm vor ein paar Stunden mitgeteilt hatte.
»Mir sind Gerüchte zu Ohren gekommen, dass bei uns in der Bucht Waffen landen.« Er hatte gesehen, wie es im Gesicht des Offiziers arbeitete. »Sie haben dazugelernt, Hawke. Vermeiden unsere Fallen – es ist verdammt frustrierend, dass wir weder eine Ladung gefunden haben noch sie aufhalten konnten.«
Hawke ärgerte das auch, doch ein Teil von ihm hatte immer gewusst, dass es eines Tages so weit kommen würde. Der Rat hatte viele Leute an die Gestaltwandler verloren, und dadurch hatte sich auch die Machtbalance verschoben. Wölfe und Leoparden waren für die Medialen nicht mehr dumme Tiere, sondern eine ernst zu nehmende Bedrohung.
Sing-Liu grüßte ihn, als er an ihrem Posten vorbeikam; er schlug eine andere Richtung ein, betrat Leopardenterritorium. Die Rudel hatten einander freien Zugang zugesichert, doch es war immer noch eigenartig, wenn er ihr Revier verließ. Der Posten sah ihn sofort, denn Hawke hatte gar nicht versucht, sich zu verbergen.
Überraschenderweise gab der Leopard ihm ein Zeichen, stehen zu bleiben. Der Leitwolf hätte dieses Tempo noch eine ganze Weile durchgehalten, dennoch bebten seine Flanken, als er in der Nähe des Mannes anhielt. An der Witterung hatte er den Wächter Clay Bennett erkannt.
»Hab schon versucht, dich anzurufen«, sagte Clay anstelle einer Begrüßung. »Die Ratten haben was gefunden.«
Hawke legte den Kopf zur Seite.
»Waffenteile im Abwassersystem der Stadt, Ursprung unbekannt. Aber«, fügte der Leopard hinzu, »die Ratten konnten anhand einer Karte feststellen, dass das Zeug aus dem SoMa-Viertel stammen muss. Vielleicht aus einem der alten Lagerhäuser, die sie jetzt instand setzen.«
Hawkes Wolf überlegte, überließ dem menschlichen Teil kurz die Führung. Im Gegensatz zu anderen Gestaltwandlern bestand für Hawke nie die Gefahr, seine menschliche Seite zu verlieren, wenn er längere Zeit dem Wolf die Kontrolle überließ. Als Jugendlicher war es für ihn notwendig gewesen, dass der Wolf die Führung übernahm, um Entscheidungen zu fällen, für die er damals noch zu jung gewesen war, doch sobald Hawke festen Halt gefunden hatte, hatte sich der Wolf zurückgezogen.
Das Tier sah die Welt schwarz-weiß, begriff die Spiele der Menschen nicht. Einen Zweikampf konnte es verstehen, man tötete, um sich zu verteidigen, um zu überleben. Doch es verstand nicht, dass man mordete, um Macht zu gewinnen oder zu behalten. Der Mensch dagegen hatte ein Massaker überlebt, er begriff selbst die dunkelsten Beweggründe nur zu gut.
»Ich habe die Ratten gebeten, noch ein wenig herumzuschnüffeln«, fuhr Clay fort. »Die bemerkt keiner. Morgen treffen wir uns wieder und planen die nächsten Schritte. Meiner Meinung nach sollten wir die Rekruten einsetzen – die wirken wie streunende Teenager.«
Geschickt, dachte Hawke. Jugendlichen schenkte man allgemein weniger Beachtung, da sie häufig in lauten Gruppen herumzogen. Er nickte kurz und sprang wieder in den Wald, überließ dem Wolf die Kontrolle. Ihm begegneten nochmals Leoparden. Eine Gruppe Jugendlicher schloss sich sogar seiner Jagd an, um den Leitwolf zu schlagen. Der Wolf lachte leise, ließ sie spielen und setzte seinen Weg fort, als sie sich ausgetobt hatten und müde geworden waren.
Kilometer um Kilometer ließ er hinter sich.
Doch nicht einen Moment konnte er vergessen, dass sich Sienna in tödliche Gefahr begeben hatte.
Sienna stolperte. Nein, nein, nein!
Entgegen allem, was sie bei Indigo gelernt hatte, verdrehte sich ihr Körper und schlug hart auf dem Boden auf. Etwas knackte, sehr wahrscheinlich eine Rippe. Ein stechender Schmerz, aber sie hatte dem Suchscheinwerfer ausweichen können.
Sie holte unter Schmerzen Luft, stand wieder auf und prüfte kurz, ob keine lebenswichtigen Funktionen beeinträchtigt waren. Alles in Ordnung – nur das Atmen fiel ihr schwer. Sie verschob ihren inneren Zeitplan um eine Minute und verbannte den Schmerz aus ihrem Bewusstsein.
Dieser militärische Kunstgriff konnte gefährlich sein, wenn es sich um eine schwere Verletzung handelte, denn damit ignorierte man alle Signale, die der Körper gab – doch bei einer gebrochenen Rippe war es genau die richtige Lösung. Sie überprüfte, ob die Sprengkörper im Rucksack noch unversehrt
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