Lockruf des Verlangens (German Edition)
nah, denn ihr würziger Herbstduft hing immer noch in der Luft, auf seinen Lippen, in seinem Mund. Mit zusammengebissenen Zähnen stieg er zum See hinunter und spritzte sich eiskaltes Wasser ins Gesicht. Oh Gott!
Seinem Wolf macht Kälte normalerweise nichts aus, auch jetzt störte ihn der plötzliche Schock nicht, doch er hatte sich wieder unter Kontrolle, als Sienna an seine Seite trat. Er zeigte mit dem Finger auf sie. »Benimm dich – sonst liegst du in weniger als fünf Sekunden nackt unter mir.« Na ja, vielleicht hatte er sich doch nicht ganz unter Kontrolle.
Sie blinzelte, schluckte und schüttelte den Kopf. »Ich glaube, dazu bin ich noch nicht bereit.«
Das sah er auch so. Deshalb liefen ja eiskalte Wassertropfen in seinen Nacken, als er sich aufrichtete. »Gefällt dir der See?« Nicht gerade der geschmeidigste Themenwechsel, aber Raffinesse lag ihm im Moment sehr fern.
»Ja.« Sie schloss sich ihm an, als er den Weg zur Höhle einschlug. »Es ist so friedlich hier.«
»Als Kind habe ich immer mit meinen Freunden hier gespielt.« Rissa war zu gern in Wolfsgestalt in dieses Wasser gesprungen.
»Du hast sie wohl sehr geliebt?« Sehr leise.
Sie hatte die Frage zwar gestellt, doch er sah an ihrer Haltung und ihrem Gesichtsausdruck, dass sie damit rechnete, abgekanzelt zu werden. Was er bei jedem anderen im selben Rang getan hätte. Doch sie war nicht jemand anders. Er hatte sie eben geküsst und würde sie morgen auf eine möglicherweise tödliche Mission schicken – von dem Augenblick an, als sich ihre Blicke am Tag ihrer Abkehr vom Medialnet zum ersten Mal getroffen hatten, hatte ihn diese Frau nicht mehr losgelassen.
»Wir waren Kinder«, begann er heiser. »Ich hatte nur drei Jahre mit ihr.« Die sie ständig zusammen verbracht hatten. »Wir hatten Glück – haben uns früh gefunden.«
»Woher wusstest du es?« Tiefes Interesse sprach aus ihren Worten, ihrem Blick. »Woher wusstest du, dass sie deine Gefährtin war?«
»Ich wusste es einfach.« Es hatte in seiner Seele widergehallt, aus seinem Herzen gesprochen, ihm ein Zuhause gegeben, das er seit ihrem Tod jeden Tag aufs Neue vermisste. »Sie wurde geboren, als ich fünf war, zwei Jahre später haben wir uns getroffen. Ich ging mit meiner Mutter den Flur entlang, als ich sie zum ersten Mal sah. Später hat mir meine Mutter erzählt, dass ich urplötzlich stehen geblieben und dann in die entgegengesetzte Richtung losgestürmt sei.« Seine begabte, elfengleiche Mutter mit den seegrünen Augen und dem wilden Haar hatte immer gelacht, wenn sie davon gesprochen hatte. »Sie war so überrascht, dass sie beschloss, es mir durchgehen zu lassen. Doch dann rannte ich in den Kindergarten.«
»Hatte Tarah schon die Oberaufsicht?«, fragte Sienna, die Indigos Mutter gut kannte.
»Nein, Evie war auch noch nicht auf der Welt.« Es kam ihm auf einmal unwahrscheinlich vor, dass schon so viel Zeit vergangen war … dass Rissa schon so lange fort war. »Meine Mutter war sicher, dass ich ziemlichen Ärger bekommen würde, weil ich den Mittagsschlaf der anderen gestört hatte, und dann fand sie mich auch noch lachend bei einem Krabbelkind mit dicken schwarzen Locken und braunen Augen.«
Nie würde er die Freude vergessen, als Rissa ihn angelächelt hatte. Du bist mein. Kristallklar war dieser Gedanke gewesen. Als Kind hatte er noch nicht gewusst, wie tief diese Gefühle eines Tages sein würden – damals war nur der ursprüngliche Beschützerinstinkt angesprungen. »Die damalige Heilerin erklärte mir, dass sie noch von keinem Gestaltwandler gehört habe, der so früh seine Gefährtin gefunden habe.« Manche brauchten Jahre, um sich zu erkennen – Drew und Indigo waren das beste Beispiel.
»Wie wunderschön.« Freudiges Erstaunen klang in Siennas Stimme mit. »Sie hat den Großteil ihres Lebens in dem Wissen verbracht, dass sie niemals allein sein würde, dass immer jemand da sein würde, der sie auffängt.«
VonderSeitehatteHawkeesnochniebetrachtet;RissaskurzesLebenhattenkeineSorgenüberschattet.»Danke.«SeinHerzwarvollerZärtlichkeitfürdieseFrau,diesovieleNarbenaufderSeeletrug.ErstrichihrmitderHandübersHaar.»Passaufdichauf.WirhabenetwasWichtigesvor,wennduwiederdabist.«
Sienna und Judd verließen die Höhle am nächsten Morgen so heimlich, dass Lara es nur merkte, weil sie vor Morgengrauen nach Elias gesehen hatte. Als sie Hawke darauf ansprach und auf ihren Rang verwies, weihte er sie schließlich ein.
Nun war sie unterwegs zu Walker und betrat
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