Lockruf des Verlangens (German Edition)
die plötzlich ganz nüchtern wirkte. »Ich habe nichts getrunken und kann den anderen Wagen nehmen.«
Hawke roch, dass der junge Soldat ihn nicht belog. »Ihr habt Glück gehabt, dass mir José Bescheid gesagt hat, bevor die ersten Fäuste geflogen sind.«
Die Männer sahen schuldbewusst aus, und die Frauen runzelten die Stirn. Jedem Mann war klar, was sich da in der Bar zusammengebraut hatte.
»Wenn ich noch einmal einen solchen Anruf kriege, verhänge ich ein Ausgehverbot. Verstanden?«
»Ja, Sir.«
Alle verkrümelten sich, sprangen in Elias ’ Wagen oder auf das Fahrzeug, das Tai fuhr, und Hawke wurde schlagartig klar, dass er nun über eine Stunde ganz allein und sehr nah neben einer Frau sitzen würde, deren Nähe er gemieden hatte, seit sie achtzehn geworden war. Die noch dazu fast die Knöpfe ihrer Bluse sprengte, im Ausschnitt blitzte roter Satin auf elfenbeinfarbener Haut.
Na großartig, er saß mächtig in der Klemme.
Sienna sah durch das Fenster ihren verschwindenden Freunden hinterher. »Verräterin«, formte sie mit den Lippen, als Evie sie noch einmal ansah.
Evie zwinkerte ihr zu. »Mach ihm die Hölle heiß … Baby«, sagte sie genauso lautlos.
Sienna spürte, wie ihr das Blut in die Wangen schoss, als sie sich erinnerte, wie sich jedes Haar an ihrem Körper aufgestellt hatte, als sie das wütend hervorgestoßene Kosewort gehört hatte. Wahrscheinlich hatte es gar nichts zu bedeuten gehabt, außer dass sie genau das für ihn war. Ein Kind. Ganz egal, was sie tat, wie erwachsen sie sich verhielt, er schien nur in den schlimmen Augenblicken auf sie aufmerksam zu werden.
Wie an diesem Abend.
Nein, dachte sie, voller Wut auf ihn – und auf sich selbst, dass er immer noch so viel bei ihr auslöste – , das war kein schlimmer Augenblick gewesen. Sie hatte jedes Recht, sich zu amüsieren. Wahrscheinlich kochte er nur, weil man ihn aus Rosalies Bett geholt hatte. In den Handballen spürte sie die Fingernägel. Wenn sie Krallen gehabt hätte, wären sie längst ausgefahren und hätten die Sitze zerrissen.
»Sag bloß nichts«, blaffte Hawke, als er sich auf den Fahrersitz schwang. »Ist dir klar, was du in der Bar abgezogen hast?« Er gab ihr keine Möglichkeit zu antworten. »Die meisten Männer waren kurz davor, dir die Kleider vom Leib zu reißen.«
Ihr Zorn entlud sich über ihn. »Dank Indigo weiß ich mich zu verteidigen. Tanzen war jedenfalls noch kein Verbrechen, als ich das letzte Mal nachgeschaut habe.«
»Hab ich nicht gesagt, du sollst den Mund halten, verdammt noch mal?« Seine Hände umklammerten das Lenkrad, als er in weniger belebte Gegenden kam.
Sie schnaubte, war viel zu wütend, um sich Gedanken darum zu machen, ob es gesund war, einen wütenden Gestaltwandler noch weiter herauszufordern. »Wie wär’s, wenn der Herr Leitwolf mal weniger Befehle geben würde und sich aus seinem Versteck heraustraute, um wirklich zu reden.«
»Treib mich nicht in die Enge, Kleine.« Unheimlich leise.
Ihr ganzer Körper stand unter Spannung, aber ein kaltblütiger medialer Ratsherr war ihr Lehrer gewesen. Furcht war ihr wohlbekannt – sie war nicht so heiß wie die Empfindung, die im Moment in ihr brannte. »Deiner Meinung nach sollte ich einfach tun, was du sagst?«, fragte sie. »Würde dich das zufriedenstellen?«
»Einmal«, sagte er so ruhig, dass ihr vollkommen klar wurde, dass sie mit einem Raubtier im Wagen saß. »Einmal lass ich dir das durchgehen, weil du betrunken bist – «
»Ich habe keinen einzigen Tropfen Alkohol getrunken.« Alkohol hatte unvorhersehbare Effekte auf mediale Fähigkeiten, sie konnte es sich nicht leisten, auch nur ein Jota ihrer Beherrschung zu verlieren. »Ich bin sauer, weil du deinen Leitwolf-Status benutzt, um mir über den Mund zu fahren.«
Eine gefährliche Pause trat ein. So gefährlich, dass Sienna lieber schwieg und hinunterschluckte, was ihr noch auf der Zunge lag.
Bis Hawke den Wagen in einem ihr unbekannten Teil des Reviers zum Stehen brachte. Es war pechschwarze Nacht, weder Sterne noch Mond waren zu sehen, die Bäume standen wie eine undurchdringliche düstere Mauer um sie herum. »Warum halten wir?«
»Du wolltest mit mir reden. Also los.«
Bei dem weichen Tonfall wurden ihre Hände feucht.
»Den ›Leitwolf-Status‹ lege ich jetzt mal beiseite.«
Er war richtig sauer.
»Dann wollen wir mal sehen, was du zu deiner Verteidigung vorbringen kannst.« Er drehte sich zu ihr und legte den Arm hinter ihr auf die Rückenlehne. »Jetzt
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