Lockruf des Verlangens (German Edition)
Medialnet, gab es Tausende von E-Medialen. Aber es gab nicht einen einzigen weiteren kardinalen X-Medialen. »Wie geht es ihr?«
Judd trank einen Schluck Tee, verzog das Gesicht, wie sie es von anderen Männern kannte – nur dass sie so etwas bei einem ehemaligen Pfeilgardisten nicht erwartet hatte – , und stellte die Tasse schnell wieder ab. »Sie hält sich tapfer«, sagte er. »Im Augenblick geht es weniger um ihre geistige Selbstkontrolle als um ihre emotionale Stabilität.«
Sascha las zwischen den Zeilen. »Vielleicht sollte ich einmal mit ihr reden.« In der Zeit, als Sienna öfter bei den Leoparden gewesen war, hatte Sascha sie ins Herz geschlossen und wollte sich nun mit eigenen Augen ein Bild davon machen, wie die andere Kardinalmediale mit einem ebenso dominanten und starken Mann fertigwurde, wie es ihr eigener Gefährte war. Mit einem Mann, der so viele Narben in seinem Inneren hatte, dass Sascha Sienna von jeder näheren Beziehung abgeraten hätte … wenn die junge Frau nicht selbst Narben gehabt hätte.
Judd ballte die Faust auf dem Tisch, einen Augenblick lang glaubte Sascha fast, er würde die Gefühle äußern, die ihm das Herz zerrissen. Doch er sagte nur: »Ich werde sie heute Abend herbringen.«
Sie beruhigte sich mit dem Gedanken, dass er sich sicherlich Brenna anvertrauen würde, und stellte ebenfalls die Tasse ab. »Ich bin keine Invalidin.« Er war genauso schlimm wie die Leoparden. »Lucas kann mich fahren.«
»Er wird sich nicht leicht damit tun, dich so weit vom Leopardenrevier fortzulassen. Lass den Mann doch zur Ruhe kommen.«
»Judd! Kein Wunder, dass du mit den Wölfen so gut klarkommst.« Lachend sagte sie sich, dass es vielleicht doch besser wäre, wenn Sienna etwas Abstand zur Wolfshöhle bekäme. »Schön, dann machen wir es so, wie du vorgeschlagen hast.«
Nachdem der frühere Pfeilgardist im Wald verschwunden war, um nach einem kleinen Jungen zu sehen, der ebenfalls über Judds tödliche Gabe verfügte, goss sich Sascha noch eine Tasse Tee ein und dachte über das mysteriöse Manuskript nach. Faith, Ashaya und sie hatten erfolglos alle möglichen Quellen angezapft. Sie hatte sogar gewagt, den Direktor der Shine- Stiftung darauf anzusprechen – doch auch in der ersten Gruppe der Abtrünnigen hatte es keinen X-Medialen gegeben, Devs Leute wussten fast nichts über sie.
Für den Großteil der Welt waren X-Mediale gar nicht vorhanden.
Am späten Nachmittag, nach Siennas Meldung über ein erneutes Eindringen von Medialen, kniete Hawke in der sonnendurchfluteten Ecke einer kleinen Lichtung inmitten von alten Mammutbäumen mit mannsdicken Wurzeln. Trotz der kühlen Witterung wuchsen hier unzählige Wildblumen. »Hallo, Rissa.«
Nur Schweigen antwortete ihm. Friedliche Stille. Denn dieser Ort war sein Hafen der Ruhe, wann immer er ihn brauchte. Heute brauchte er ihn geradezu verzweifelt.
»Alle denken, dass ich ohne Grund so stur bin«, sagte er und fegte mit der Hand ein paar Blätter von einem Beet mit himmelblauen Blumen. »Sie verstehen einfach nicht, dass ich sie nur schütze.« Sienna zog ihn übermächtig an. Das konnte er nur vor sich selbst zugeben. Doch die ganze Wahrheit war, dass er ihr nur wenig mehr als eine körperliche Beziehung bieten konnte. »Ich habe dir doch schon vor langer Zeit mein Herz geschenkt.«
Theresa war mit fünf einem brutalen Überfall zum Opfer gefallen. Er war damals zehn gewesen. Zu jung, um sie wie ein Mann zu lieben, selbst noch zu jung, um wie ein Jugendlicher verliebt zu sein. Doch der Wolf hatte von der ersten Begegnung an gewusst, was sie für ihn sein würde: seine Gefährtin.
Von da an waren sie die besten Freunde gewesen, mit einem leuchtenden Band voller Lachen und unschuldigem Entzücken verbunden. Ganz anders als das heftige Verlangen, das mit scharfen Krallen in ihm wütete, sobald er in Siennas Nähe kam. Allein schon ihr Duft machte seinen Wolf wahnsinnig, kroch in ihn hinein, bis er nichts anderes mehr roch.
»Wölfe binden sich doch fürs Leben, Rissa«, sagte er, den Namen hatte er ihr damals gegeben. »Das weiß jeder.«
Aber wir sind nie Gefährten geworden.
Die Stimme, die er in seinem Kopf hörte, wenn er an Theresa dachte, war nicht die des kleinen Mädchens, sondern die der Frau, die sie geworden wäre. Die warme und sanfte Stimme einer Frau, die keine Soldatin geworden wäre, sondern zu den Müttern gehört hätte, die das Herz des Rudels waren.
»Spielt keine Rolle«, murmelte er, weigerte sich, etwas
Weitere Kostenlose Bücher