Rasierklingen geschluckt.
Dennoch zwang sie sich, die härteste Frage zu stellen. »Sind die Medialen schuld am Tod deiner Eltern?« Sie wusste, dass er sie als Kind verloren hatte, aber niemand hatte je mit ihr über die Umstände gesprochen.
Hawke reagierte zunächst nicht. Dann sagte er: »Manche Dinge brauchst du nicht zu wissen.« Eine Ohrfeige. Kalt. Direkt. Absolut.
Es lag in ihrer Natur, sich gegen ihn aufzulehnen, ihr Instinkt sagte ihr, dass er nur eine Frau akzeptieren würde, die ihm Widerstand leisten konnte, doch sie hatte kein Recht, ihn erneut in diesen Albtraum zu schicken. »Es tut mir leid.« Sie sah hinaus in den dunklen Wald, ballte die zitternden Hände zu Fäusten und starrte in die Nacht, ohne wirklich etwas zu sehen.
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WIEDERHERGESTELLTE DATEI COMPUTER 2(A)
STICHWORTE: PRIVATKORRESPONDENZ, VATER, HANDLUNG NICHT ERFORDERLICH
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von: Alice
an: Dad
am: 12. Februar 1972 um 22:00
betrifft: Endlich veröffentlicht!!
Lieber Dad,
gerade habe ich die ersten Exemplare meines Buches erhalten. Ich weiß ja, dass du von dem unwissenschaftlichen Titel nichts hältst, aber ich finde Das Geheimnis der E-Medialen: Empathische Gaben und ihre Schattenseiten richtig schick.
Um auf die Frage deiner letzten E-Mail einzugehen: Ja, ich bin noch Single, aber es ist ja noch Zeit, noch musst du dich nicht auf ein Rentnerdasein ohne Enkel einstellen (ohnehin willst du dich doch gar nicht pensionieren lassen). Sag Mom, ich war beim Haus, die Blumen blühen wunderschön – eine empathische Freundin hat mir beim Gärtnern geholfen. E-Mediale haben einen grünen Daumen. Vielleicht sollte ich mich im nächsten Buch damit befassen.
Vor einem Jahr habe ich mit den Forschungen über X-Mediale begonnen, nun ist mir klar geworden, dass ich mich dabei nicht ausschließlich auf die kleine Population meiner Stichprobe (der lebenden Exemplare) verlassen kann. Auf meine Nachfragen hin hat sich ein medialer Bibliothekar bereit erklärt, im Medialnet nach Informationen über verstorbene X-Mediale zu suchen, und ich werde dasselbe in allen zugänglichen Bibliotheken machen.
Meine Prämisse lautet, dass es einen Grund für die Existenz dieser Kategorie geben muss, aber George hat mich darauf hingewiesen, dass eine ganze Reihe von seltenen Krankheiten durch Mutationen hervorgerufen werden. Wenn man diesen Gedanken weiterverfolgt, könnte man zu dem Schluss kommen, dass X-Mediale so selten sind, weil sie keine Funktion erfüllen, und ihr frühzeitiges Sterben der Versuch der Natur ist, eine gefährliche Krankheit einzudämmen. Diese Überlegungen gefallen mir nicht, aber als Wissenschaftlerin weiß ich natürlich, dass sie als Hypothese ebenso brauchbar wie alle anderen sind.
Schade, dass du nicht hier bist, dann könnten wir uns darüber in einem Gespräch auseinandersetzen.
In Liebe
Alice
16
Lara saß an ihrem Schreibtisch auf der Krankenstation, sie war länger geblieben, um nach einem älteren Wolf zu sehen, der gestürzt war, doch sie konnte sich nicht auf die Papiere konzentrieren, die vor ihr lagen.
WassiezuWalkerLaurenhinzog,warnichtsoeinfachzubeschreiben – seiterdieHöhlebetretenhatte,wardiesesGefühllangsamundstetiggewachsen,SchichtumSchicht,WortumWort.JemehrsievondemMannhinterdemreserviertenÄußerenerfuhr,destomehrfühltesiesichzuihmhingezogen.SeineZurückweisungwareinschlimmerSchlaggewesen,sehrschlimmsogar,abersiewarnichtsodumm,dasssieangenommenhätte,ihre Gefühle würden verschwinden, weil sie es so wollte.
Deshalb war es nicht überraschend für sie, sich bei der Vorstellung zu ertappen, er sei eifersüchtig. Doch selbst wenn es stimmte, würde er sicher nicht seine Meinung ändern – Walker war nicht wankelmütig, und er hatte ihr sehr deutlich gesagt, dass er ihren Kuss für einen Fehler hielt.
Auch Lara traf ihre Entscheidungen nicht leichtfertig, aber sie musste jetzt anfangen, sich neu zu orientieren. Zwar passte Kieran nicht besonders gut zu ihr – wie ihre Freundin Ava ihr klipp und klar gesagt hatte – , aber er war immerhin die erste Verabredung seit sechs Monaten.
»WeildukeinemdieMöglichkeitgebenwolltest,deineGefühlefürWalkerzubeeinträchtigen«,hatteAvanochhinzugefügt.
Damit hatte Lara recht gehabt, und genau deshalb rief Lara nun einen Techniker an, der sich schon vor drei Monaten mit ihr hatte treffen wollen, und verabredete sich zum Mittagessen mit ihm. Seine sofortige Zustimmung tat ihr gut, sie legte auf und sah im gleichen