Lockruf des Verlangens (German Edition)
bevor sie verschwunden waren, aber er ließ sie ziehen. Die wichtigste Regel bei allen Geschäften war, zunächst die Pläne des Gegners in Erfahrung zu bringen, was vermutlich sehr viel einfacher war, wenn der Leiter der Operation nicht erfuhr, dass die Wölfe Wind von dem geplanten Anschlag bekommen hatten.
Hawke überzeugte sich davon, dass die Gegend nun sicher war, und wollte gerade zum Wagen zurückkehren, als ihn etwas innehalten ließ. Sienna war Mings Protegé gewesen, hatte die meiste Zeit ihres Lebens die militärischen Taktiken und Strategien des Rats aus erster Hand mitbekommen. Sein Beschützerinstinkt wollte sie von allem fernhalten, aber er war der Leitwolf – kühl und berechnend – , er würde jeden Vorteil nutzen, um das Rudel zu schützen.
Darum zog er das Telefon heraus und rief sie an. »Findest du her?«, fragte er und ging ein wenig zur Seite, um nicht etwa von verborgenen Aufnahmegeräten gehört oder gesehen zu werden – nach dem, was Henry Scott im letzten Jahr abgezogen hatte, konnte man gar nicht vorsichtig genug sein.
»Ja, ich sehe dich mit meinem telepathischen Auge.«
Er runzelte die Stirn, sagte aber nichts weiter, bis sie im Dunkeln auftauchte. Im Mondlicht schimmerte ihre Haut silbern an den Stellen, wo sie das lächerliche Ding nicht bedeckte, das sie Korsage nannte. »Könnten mich alle Medialen so ausfindig machen?«, fragte er. Ein einziger Hieb mit einer Kralle würde genügen, um die Bänder zu zerschneiden, die den Stoff zusammenhielten.
Sienna schüttelte den Kopf, sie hatte das Tuch wieder ins Haar gebunden. »Nicht dich speziell. Ich habe die Gegend telepathisch abgesucht und nur einen Gestaltwandler gefunden.«
Beruhigt deutete er auf den Ort, wo er die Medialen gesehen hatte, und erzählte ihr, was er mitbekommen hatte. »Fällt dir dazu etwas ein?«
Sienna musterte den Wald und rieb sich abwesend die kalten nackten Arme. »Du hast sicher schon an alles gedacht – wenn sie mehr Platz brauchen, geht es wahrscheinlich um einen Stützpunkt.«
»Ja.« Er trat hinter sie und legte die Arme um ihren Oberkörper. »Du bist ganz eisig.« Kein Wunder. Doch den Wolf irritierte ihre Kleidung nicht mehr, da er jetzt Körperprivilegien besaß. »Komm«, sagte er und sog den Duft nach wilden Gewürzen tief ein. »Mehr kriegen wir sowieso nicht raus.« Er würde morgen Techniker herschicken, damit sie alles noch einmal genau überprüften.
Sienna war ungewöhnlich unterwürfig, als sie zum Wagen zurückgingen. Die Kälte machte ihm nichts aus, aber er drehte die Heizung voll auf, sobald sie eingestiegen waren. »Was geht in deinem Kopf vor?«
»Meine Leute wollen deine Leute schon wieder angreifen«, sagte sie leise. »Hasst du deshalb die Medialen? Weil sie nie damit aufhören?«
Erinnerungen an Blut und Schmerz überfluteten ihn, an den Tod geliebter Gefährten, die den Klauen und Zähnen des eigenen Rudels zum Opfer gefallen waren. »Nein.« Die Narben, die der Gewaltausbruch vor zwei Jahrzehnten hinterlassen hatte, würden nie verschwinden, aber er hatte gelernt, den wütenden Zorn zu überwinden, der ihn die ersten Jahre umgetrieben hatte. »Ich hasse nicht alle Medialen. Nur die, die dem Rat folgen.«
Sienna schlang die Arme fest um ihren Oberkörper, obwohl es inzwischen angenehm warm im Wagen war. Das hatte sie nie bedacht. Ja, die Anziehung zwischen ihnen war stark, war ein ungestümes Verlangen, das Hawke endlich zu ihr gebracht hatte. Doch wie konnte sie erwarten, dass er jemals etwas Tieferes für sie empfinden würde, für eine Frau jener Gattung, die ihm so viel Schmerz bereitet hatte, dass seine Stimme immer noch nach Wolf klang, wenn er davon sprach, und Schatten der Vergangenheit über sein Gesicht huschten.
Die Höhle war ihr Zuhause geworden, die Wölfe Freunde und Familie, aber sie wusste noch gut, wie es bei ihrer Ankunft gewesen war. In den ersten Monaten hatte sie einen zweifachen Schock bewältigen müssen: die Trennung vom Medialnet und ihre unerklärliche Reaktion auf den Leitwolf mit den eisblauen Augen. Sie war nur darauf konzentriert, am Leben zu bleiben. Immerhin hatte ein Ratsherr sie ausgebildet, und sie war die Nichte eines Pfeilgardisten. Sie hatte sich bemüht, das Flüstern und die schnippischen Bemerkungen zu überhören. Das Rudel war starr vor Erstaunen gewesen, dass Hawke ausgerechnet einer Medialenfamilie Zuflucht gewährte, nach allem, was sie seinen Leuten angetan haben.
Ihre Kehle fühlte sich an, als hätte sie
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