Lockruf des Verlangens (German Edition)
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»Onkel«, unterbrach Hawke sie, »Brüder und Väter hatten schon immer und werden auch weiterhin private ›Gespräche‹ mit den Männern führen, die etwas von den weiblichen Familienmitgliedern wollen. Dagegen wirst du nichts tun können.« Er zog spielerisch an ihrem Zopf. »Also lass es lieber gleich.«
Sie warf ihm einen versengenden Blick zu und befreite den Zopf aus seiner Hand. »Etwas dermaßen Sexistisches habe ich noch nie gehört.«
»Ist aber so.« Er zuckte die Achseln. »Kannst ja mal Riley fragen, was für eine nette kleine Unterredung er mit Mercys Brüdern und ihrem Vater hatte.«
Neugier vertrieb nun den Ärger. »Und Indigo?« Die Offizierin bekleidete den dritthöchsten Rang im Rudel, sie brauchte sicher niemanden, der sie beschützte.
»Du kennst doch Abel«, sagte er – Abel war Indigos Vater. »Was meinst du wohl?«
Da wusste Sienna, dass der arrogante Wolf gewonnen hatte, denn Abel liebte seine Töchter abgöttisch und hatte wahrscheinlich damit gedroht, Drew wesentliche Körperteile abzureißen. »Wohin gehen wir?«, fragte sie sichtbar schlecht gelaunt.
»Du erfährst es gleich.« Er wies mit dem Kinn auf einen Konferenzraum und sagte: »Toby ist dort drin.« Er fragte nichts, gab ihr aber stillschweigend die Erlaubnis, nach ihrem Bruder zu sehen, wenn sie es wollte.
»Es geht ihm gut«, sagte sie und fragte sich, wie dieser Mann mit den Wolfsaugen sie so auf die Palme bringen und gleichzeitig so wunderbar sein konnte. »Er mag den Unterricht bei Sascha.«
»Sie hat natürlich auch etwas davon.«
»Sie ist eine kardinale Empathin. Tobys empathische Fähigkeiten erreichen kaum mehr als eine drei auf der Skala.« Erst seine telepathischen Fähigkeiten machten ihn zu einem Kardinalmedialen.
»Aber er ist teilweise ein Empath«, stellte Hawke fest. »Und es gibt ihn.«
Ja, dachte sie, Hawke hatte recht. Das erklärte natürlich, warum sich Sascha genauso freute, wenn sie mit Toby zusammen war. »Ich habe noch nie einen anderen X-Medialen getroffen.« Sie wusste selbst nicht, warum sie ihm das erzählte.
Hawke antwortete erst, nachdem sie die Höhle verlassen hatten und in Richtung Trainings-Parcours liefen, der noch um einiges vertrackter geworden war, seit Riaz’ Rückkehr von einem kurzen Abstecher nach Europa. »Nicht einmal einen mit einer schwachen Ausprägung?«, fragte er und hielt sein Gesicht in die helle Sierrasonne.
Was für ein schöner Mann. »Die Kategorie ist so rar«, sagte sie schließlich, als er sie fragend ansah, »dass es wahrscheinlich momentan kaum zehn von uns auf dieser Welt gibt.« Und das war noch eine großzügige Schätzung, wenn man bedachte, was sie über die Lebenserwartung von X-Medialen in Erfahrung gebracht hatte. »Man nimmt an, dass X-Anlagen von unter zwei auf der Skala sich nicht zeigen und daher auch nicht wahrgenommen werden. Was die anderen angeht … Ich weiß von einem, der während meiner Teenagerzeit gestorben ist, zwei andere waren bereits tot, bevor sie mich abgeholt haben.«
So viel Trauer, so viel Tod.
»Von ihnen habe ich nur durch das Medialnet erfahren«, fuhr sie fort. »Einer war psychotisch, der andere hypersensitiv.« Es war eigenartig, über die X-Kategorie zu sprechen, ohne die stechenden Schmerzen in der Wirbelsäule zu spüren, die zur ersten Dissonanzebene gehörten und verhindern sollten, dass sie Dinge ausplauderte, die der Rat lieber geheim halten wollte. »Es könnte sein, dass ich ihn in Brand gesetzt hätte, wenn wir in näheren Kontakt miteinander gekommen wären.«
»Machte ihn die Unberechenbarkeit nicht zu einer Gefahr?« Hawke strich sich ein paar silbrig goldene Strähnen aus dem Gesicht und sah ihr in die Augen.
»Doch«, murmelte sie. »Aber für irgendetwas muss er nützlich gewesen sein, sonst hätten sie ihn nicht so lange am Leben gelassen.« Hawke hatte wirklich faszinierendes Haar, genauso ungewöhnlich und schön wie sein Fell als Wolf. »Warum lässt du dein Haar nicht länger wachsen?«
»Wie Luc etwa?« Er zuckte die Achseln. »Ist wohl nichts für mich.«
Sie musste zugeben, dass es ihr gefiel, wie es war, gerade so lang im Nacken, dass es ein wenig wild wirkte … und Frauenhände zum Streicheln einlud. Doch sie war unsicher, welche Berührung er nach Stand der Dinge akzeptieren würde, und steckte die Hände sicherheitshalber unter die Achseln. »Warum gleichst du als Mensch so sehr deinem Wolf?«
»Es gab eine Zeit, in der es notwendig war, dass der Wolf den dominanteren
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