Lockruf des Verlangens (German Edition)
Teil übernahm – denn er war erwachsener als der Junge.« Er führte sie am Trainings-Parcours vorbei in den Wald. »Mein Wolf war schon immer nahe unter der Oberfläche. Aber danach ist er noch stärker geworden.«
Die offene Antwort überraschte sie, und für die nächste Frage brauchte sie ein wenig Mut. »Ich habe von anderen Gestaltwandlern gehört, dass es gefährlich sein kann, wenn man dem Tier zu lange die Kontrolle überlässt.«
»Es ging nicht anders. Ich war erst fünfzehn, als ich Leitwolf wurde.«
»So jung?«
»Unser Leitwolf war tot, die meisten Offiziere und ranghohen Soldaten ebenfalls.«
»Darum seid ihr ein solch junges Rudel.« Nicht einmal annähernd so viele Ältere und Alte, wie zu erwarten gewesen wäre. Sie wollte noch eine weitere Frage stellen, als sie bemerkte, dass sie im Schatten eines hohen, schlanken Baums stehen geblieben waren. Die kleinen Blätter zitterten im Wind.
»Du hast zwanzig Minuten Vorsprung«, sagte er, blasse Wolfsaugen in einem menschlichen Gesicht beobachteten sie genau.
19
Die feinen Härchen auf ihren Armen richteten sich auf. »Um was zu tun?«
»Zum See zu laufen, bevor ich dich fangen kann.« Sein provozierendes Lächeln ging ihr durch und durch. »Mal sehen, ob du klug genug bist, einen Wolf an der Nase herumzuführen.«
»Warum sollte ich das tun?« Sienna hatte sich ihre Stellung im Rudel längst verdient. »Ist es ein Test?«
»Eigentlich nicht.«
Sienna verschränkte die Arme und ging in Verteidigungshaltung. »Dann muss ich es auch nicht tun.«
»Und wenn ich dich darum bitte?« Er legte den Kopf schräg, wie Wölfe es manchmal taten. »Hast du Angst zu verlieren?«
Sie reckte das Kinn. »Ich könnte dich auch mit verbundenen Augen schlagen.«
»Du machst mir Angst.« Der Wolf lachte sie aus.
Wenn sie in der Lage gewesen wäre zu knurren, hätte sie es spätestens jetzt getan. »Darfst du von der anderen Seite kommen und am See auf mich warten?« Er war viel schneller als sie, selbst wenn sie einen Vorsprung hatte, würde er gewinnen.
Doch er schüttelte den Kopf, die silbrig goldenen Haare fielenihm in die Stirn. »Warum sollte ich mir den Spaß verderben?«
Natürlich hatte er sie manipuliert, aber sie sprang nun einmal auf Herausforderungen an und konnte nicht mehr zurück. »Schön. Stopp die Zeit.«
»Schon geschehen.« Er schloss die Augen. »Bevor du losstürmst, sollte ich dir vielleicht sagen, was du bekommst, falls du gewinnst.«
»Was denn?«
»Eine Überraschung.«
Wirklich jammerschade, dass sie nicht knurren konnte. »Und wenn ich verliere?«
»Werfe ich dich vielleicht in den See. Mal sehen.«
Sie traute ihm keinen Millimeter, wenn er so lächelte, und rannte los. Er war weit schneller – sie hatte ihn jagen sehen, und das Herz hatte ihr bis zum Hals geschlagen. So wunderschön, ein Kraftpaket aus Sehnen und Muskeln, er würde sie immer schlagen, wenn es um Geschwindigkeit ging.
Doch es gab andere Wege, sich mit einem Wolf zu messen.
Mann und Wolf waren ein klein wenig enttäuscht von Sienna. Sie war direkt zum See gerannt, hatte keinen der Flussläufe benutzt, um ihre Witterung zu verwischen. Wilde Gewürze und Herbstblätter durchdrangen die Luft und zogen den Wolf magisch an. Er müsste ein – »Mist.«
Er hing kopfüber einen Meter über dem mit Kiefernnadeln bedeckten Boden, um seinen rechten Knöchel schlang sich ein Seil. Er starrte nach oben und schüttelte den Kopf. Sah noch einmal hin und lachte. Cleveres Mädchen. Es war kein Seil, sondern wilder Wein, der hier überall wuchs. Sienna musste fast ihren ganzen Vorsprung genutzt haben, um die Falle zu stellen. Normalerweise wäre er nicht hineingelaufen – aber er hatte ihre Fähigkeiten auf dem Spielfeld unterschätzt. Das sollte ihm eine Lehre sein, er war ein arroganter Kerl.
Er zog sich hoch, um den Wein mit einer Kralle zu zerfetzen.
Doch es gelang ihm nicht sofort.
Fluchend versuchte er es noch einmal und noch einmal. Bis er das verdammte Ding endlich beseitigt hatte, hatte er sämtliche Flüche ausgestoßen, die er kannte, und dass er ziemlich hart auf dem Steißbein aufkam, machte die Sache keineswegs besser. Dem Wolf gefiel das überhaupt nicht … aber es gehörte zum Spiel. Er befreite den Knöchel von den letzten Schlingen, streckte sich und folgte Siennas Witterung weiter – nun aber viel vorsichtiger.
So entdeckte er die nächste gespannte Ranke und stieg vorsichtig darüber, ohne sie zu berühren. Nur um mit demselben verdammten
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