Lockruf des Verlangens (German Edition)
die winzige Chance hin, dass die beiden Kinder eine Zuflucht fänden. »Der Tod deiner Schwester tut mir leid.« Walker war der Älteste, Judd der Jüngste der Geschwister. Die Mutter von Sienna und Toby war die Mittlere gewesen … und viel zu früh gestorben.
»Kristine war sehr begabt, hatte aber auch sehr mit Problemen zu kämpfen.«
»Zum Glück hat Toby ja dich.« Denn Walker hatte sicher auch in Silentium verstehen können, was ein solcher Verlust für ein Kind bedeutete.
»Sienna konnte ich nicht beschützen.« Dunkle, düstere Worte. »Aber ich hätte nie jemandem gestattet, uns Toby zu entreißen.«
Ihr war über alle Maßen bewusst, was es ihn an Kraft gekostet haben musste, zuzusehen, wie Ming Sienna zu sich geholt hatte. Die nächste Frage, die ihr auf der Zunge gelegen hatte, hatte sie nicht mehr gestellt. Doch heute an dem kleinen Tisch, unter dem seine langen Beine weit zu ihr herüberragten, konnte sie sich nicht länger beherrschen. »Wie war Yelene denn?«, fragte sie.
»Unsere Gene passten gut zusammen.« Nichts an seiner Haltung verriet irgendetwas von seinen inneren Gedanken, als er ihr diese nichtssagende Antwort gab. »Man hatte uns vorhergesagt, dass unsere Nachkommen große Fähigkeiten haben würden, und Marlee ist der beste Beweis dafür, dass die Genetiker recht hatten.«
Trotz der fehlenden Körpersignale wusste Lara, dass Walker nicht weiter gefragt werden wollte. Aber sie war nicht bereit, die Uhr zurückzudrehen, zu der Art von Beziehung zurückzukehren, die sie vor ihrem Kuss gehabt hatten – damals hatte sie ihm gestattet, auf diese subtile Weise Grenzen zu ziehen. »Aber du hattest doch Gefühle für sie, nicht wahr?« Instinktiv wollte sie ihn berühren, eine Verbindung zu ihm herstellen, doch Walker hatte ihr noch keine Körperprivilegien über sich zugestanden, und selbst wenn mehr zwischen ihnen gewesen wäre als diese eigenartige Freundschaft, war er sicher nicht der Mann, von dem eine Frau etwas fordern konnte.
»Ich befand mich in Silentium«, sagte er. Sein Schenkel streifte ihren wie eine Liebkosung, sodass ihr der Atem stockte, obwohl sie sich doch oft genug geschworen hatte, nicht zu viel in seine Besuche, seine Worte hineinzulegen. »Ich habe rein gar nichts gefühlt.«
»Walker!«
Er stellte den Kaffee ab, den sie für ihn gemacht hatte. »Es war weder Liebe noch Zuneigung – jedenfalls nicht so, wie ihr es empfindet. Aber ich glaubte an eine Bindung und Loyalität zwischen uns. Ich hatte mich getäuscht.« Das klang so kalt und endgültig, dass sie wusste, dieses Thema war tabu.
Nicht aus Entschlossenheit wandte sich Lara gegen seine Dominanz, sondern instinktiv als Heilerin. »Sie hat dich verletzt.«
Sein Kiefer mahlte. »Sie hat eine logische und rationale Entscheidung getroffen, als die ganze Familie in die Rehabilitation geschickt werden sollte.« Walker würde nie den Tag, den genauen Zeitpunkt vergessen, an dem er das Urteil erhalten hatte und ihm gesagt worden war, er habe drei Tage Zeit, seine Sachen zu ordnen und die Minderjährigen, die er unterrichtete, über seinen Weggang zu informieren, drei Tage, um seine Tochter und den Jungen, der für ihn wie ein Sohn war, darauf vorzubereiten, dass sie sich einer Gehirnwäsche würden unterziehen müssen, nach der sie hirnloses Gemüse sein würden, bestenfalls für Handlangertätigkeiten zu gebrauchen.
»Im Rehabilitationsbefehl stand, die Laurenlinie gelte als ›unstabil‹ und ›unwert‹.« Kristines Selbstmord war einer der Beweise dafür gewesen, aber Walker und Judd hatten immer gewusst, dass es nur eine passende Gelegenheit für sie gewesen war. »Yelenes Name war nicht aufgeführt.«
Er war nach Hause gegangen, um sich mit ihr zu beraten, wollte ihr eröffnen, welche Pläne Judd und er in petto hatten. Sie hatten es beide kommen sehen, nachdem sich herausgestellt hatte, welche Kräfte Sienna besaß. Zusammen mit Judds telekinetischen Fähigkeiten, Walkers Telepathie und den angeborenen Gaben von Marlee und Toby war die Familie zu einer Bedrohung geworden, die es zu neutralisieren galt.
»Als ich nach Haus kam, packte Yelene schon ihre Koffer.« Zuerst hatte er noch gedacht, sie bereite sich auf eine Flucht vor. Bis zu jenem Tag hatte er nicht so recht gewusst, warum er ihr nichts von den Plänen gesagt hatte – vielleicht hatte ein Teil von ihm immer gewusst, dass Marlee für Yelene nur eine Ansammlung von leicht zu ersetzenden Zellen war, obwohl sie das Kind in ihrem Leib ausgetragen
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