Lockwood & Co. - Die Seufzende Wendeltreppe: Band 1 (German Edition)
das so?«, fragte George skeptisch. »Mit wie vielen neuen Aufträgen rechnest du denn, bitte schön? Fairfax’ Angebot ist die große Ausnahme. Unser guter Ruf hat sich mit dem Haus der Hopes in Rauch aufgelöst.«
Lockwood versuchte gar nicht erst, diese Behauptung zu widerlegen. »Ich hatte ja schon gesagt, dass wir einen aufsehenerregenden Erfolg brauchen, um uns von diesem Fehlschlag zu erholen. Es würde aber auch schon genügen, wenn wir den Fall Annie Ward lösen, und dank Lucy stehen wir kurz davor. Was allerdings leider keine Garantie bedeutet, dass es uns auch gelingt.« Er seufzte. »Die zweite Möglichkeit wäre die, das Rätsel der Quelle in diesem Haus zu lösen. Aber eine risikoreiche. Was immer sich an diesem Ort verbirgt, ist Furcht einflößend machtvoll.« Lockwood lehnte sich zurück und lächelte – diesmal war es nicht das volle Megawattlächeln, mit dem er einen jedes Mal wieder um den Finger wickelte, sondern ein warmes freundschaftliches Lächeln. »Ihr kennt mich ja – ich glaube, dass wir auch dem gewachsen sind. Aber ich will euch auf gar keinen Fall überreden. Wenn ihr an dieser Stelle abbrechen wollt, ist es auch in Ordnung. Ich richte mich ganz nach euch.«
George und ich schauten einander an. Ich wartete darauf, dass er etwas sagte, er wartete darauf, dass ich etwas sagte. Währenddessen verklang das übernatürliche Geknister in meinem Kopf, als wolle die übernatürliche Macht, die von dem Haus Besitz ergriffen hatte, ebenfalls hören, wie ich mich entschied.
Bis gestern hätte ich mich wahrscheinlich zurückgehalten. Ich hatte mich in Krisensituationen zu oft falsch entschieden, um meinen Instinkten noch zu trauen. Aber nachdem ich mich erst einmal überwunden hatte, das Herrenhaus zu betreten, und dann anschließend während unseres Rundgangs hatte ich zunehmend Selbstvertrauen gewonnen. Unser Team arbeitete gut zusammen, besser denn je. Wir gingen umsichtig vor, gründlich, sogar sachkundig … Ich bekam eine Ahnung davon, was aus Lockwood & Co. eines Tages werden könnte. Und das wollte ich nicht so einfach drangeben. Ich holte tief Luft.
»Ich bin dafür, dass wir wenigstens einen kurzen Blick wagen. Natürlich nur unter der Bedingung, dass wir uns einen schönen, breiten Fluchtweg offen lassen. Wenn es zu brenzlig wird, hauen wir ab, raus aus dem Haus, so schnell wie möglich.«
»Klingt einleuchtend. Und du, George?«
George blies die Pausbacken auf und ließ die Luft geräuschvoll entweichen. »Ich bin der gleichen Meinung. Lucy hat aus nahmsweise mal einen vernünftigen Vorschlag gemacht. Vo rausgesetzt …«, er klopfte auf seinen Gürtel, »… dass wir alle unsere Waffen einsetzen, wenn es erforderlich ist.«
»Dann sind wir uns also einig«, sagte Lockwood. »Taschen einsammeln und los.«
Jetzt, da die Entscheidung gefallen war, trödelten wir nicht mehr lange herum, aber wir wurden auch nicht leichtsinnig. Wir stiegen die Treppe langsam und mit offenen Augen und Ohren hoch. Die Geister hielten immer noch Abstand, aber der Nebel reichte uns inzwischen bis an die Knie. Lockwood erspähte auf dem Treppenabsatz und unter den Schlafzimmertüren Todesschein. Was mich betraf, so nahm ich wieder die bedrohliche Stille wahr, die schmerzhaft auf meine Schläfen drückte. Die Luft war dick wie Sirup und der widerliche, süßlich-faulige Geruch verfolgte uns.
Die raunenden Stimmen, die ich vor der zerkratzten Tür gehört hatte, waren allerdings verstummt. Als ich einen Blick über die Schulter warf, sah ich am Rand unseres Taschenlampenscheins eine ganze Schar Phantome wabern.
»Als ob sie drauf warten, dass wir reingehen«, sagte ich leise.
»Wer hat die Pfefferminzbonbons?«, fragte George. »Ich spür’s schon von hier aus, dass wir da drin welche brauchen.«
Lockwood holte den Schlüssel mit dem dunkelroten Band aus der Tasche und steckte ihn ins Türschloss. »Lässt sich ganz leicht drehen«, stellte er fest. Es machte Klick! »Wie Lucy gesagt hat – wir werfen nur einen kurzen Blick hinein.«
George nickte und ich rang mir ein zuversichtliches Lächeln ab.
»Wird schon schiefgehen«, sagte Lockwood aufmunternd. »Kommt!«
Er drückte die Klinke herunter und das Grauen dieser Nacht nahm seinen Anfang.
Kapitel 21
Die Tür quietschte nicht schaurig oder so. Um ehrlich zu sein, war das auch gar nicht nötig.
Sie schwang einfach auf und uns wehte ein Schwall kalter, trockener Luft entgegen, die nach Staub und Verlassenheit roch. So wie in jedem Raum, der
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