Lockwood & Co. - Die Seufzende Wendeltreppe: Band 1 (German Edition)
gearbeitet, bevor die Agentur von Fittes geschluckt wurde. Ein fähiger Bursche und noch immer sehr geschickt mit dem Degen. Aber Sie kennen ihn bereits. Percy hat Ihnen neulich nachts einen kleinen Besuch abgestattet.«
»Ach so, unser maskierter Eindringling! Wie geht’s Ihrem Magen? War die Wunde tief?«
»Ist schon fast wieder verheilt«, antwortete Grebe.
»Nur eine weitere kleine Unannehmlichkeit auf der langen Liste derer, die Sie uns verursacht haben, Mr Lockwood«, ergriff Fairfax wieder das Wort. »Schauen Sie sich nur die Wand an!« Er deutete vorwurfsvoll auf die Steinbrocken und das schartige Loch in der Mauer, durch das immer noch Magnesiumrauch hereinschwebte. »Ich bin wirklich empört. Ich hatte doch angeordnet, dass auf meinem Anwesen keine entzündlichen Stoffe zum Einsatz kommen sollen.«
»Dafür entschuldige ich mich«, sagte Lockwood. »Aber erfreulicherweise haben wir die Quelle lokalisiert und vernichtet, sodass wir der Begleichung der zweiten Rate unseres Honorars nach Öffnung der Banken erfreut entgegensehen.«
Fairfax kicherte wieder. »Optimismus wider jede Vernunft ist eine andere Eigenschaft, die ich bewundere, Mr Lockwood. Aber am meisten beeindruckt mich, dass es Ihnen gelingt, unter den widrigsten Bedingungen am Leben zu bleiben. Ich hatte fest damit gerechnet, dass Ihnen schon vor Stunden das Grauen des Roten Zimmers den Garaus machen würde. Ich habe gewartet, bis Sie drinnen waren, und hinter Ihnen abgeschlossen … Und jetzt – tauchen Sie wie ein unverwüstlicher Holzwurm in einem ganz anderen Teil des Hauses wieder auf! Wirklich erstaunlich. Nicht nur, dass Sie einen Ausgang aus dem Roten Zimmer entdeckt haben, Sie haben überdies die eigentliche Quelle aufgespürt … War es der Rote Herzog, wie ich immer vermutet habe?«
»Nein, es waren die Wendeltreppe und die Mönche. Wir haben den Brunnen entdeckt, in dem sie ertränkt wurden.«
»Ein Brunnen? Etwa hier nebenan?« Die gewölbten Gläser blitzten im Lampenschein auf, seine Stimme klang nachdenklich. »Soso … den müssen Sie mir gleich mal zeigen.«
George, der hinter Lockwood stand, zischelte: »Klasse … Nicht unbedingt die genialste Idee, den Brunnen zu erwähnen, Lockwood!«
Lockwood grinste. »Oh, Mr Fairfax ist ein besonnener Mann. Außerdem will er sich erst noch mit uns unterhalten, stimmt’s, Fairfax?«
Unter dem Helm blieb es still. Grebe richtete immer noch die Pistole auf uns.
»Allerdings.« Fairfax’ Stimme klang jetzt barscher, entschlossener. »Aber hier unten ist es mir zu ungemütlich. Ich bin müde und muss mich setzen. Bringen Sie unsere Freunde in die Bibliothek, Grebe. Wenn einer der Jungs fliehen will, fackeln Sie nicht lange und erschießen Sie das Mädchen.«
Lockwood entgegnete etwas, aber ich bekam nicht mit, was. Neben Schreck und Panik begann sich in mir jetzt Ärger zu regen. Fairfax ging ganz selbstverständlich davon aus, dass ich von uns dreien am ungefährlichsten war, das schwächste Glied des Teams. Dass man mich benutzen konnte, um die beiden anderen ruhig zu halten. Aber ich ließ mir nichts anmerken und ging mit unbewegter Miene an dem alten Mann vorbei.
In der Bibliothek waren sämtliche Lampen angeschaltet. Nach den vielen Stunden im Dunkeln schlug uns das Licht unerträglich grell entgegen. Wir hielten uns die Arme vors Gesicht und suchten Halt an den nächstbesten Stühlen. Grebe bedeutete uns, dass wir uns setzen sollten. Er selbst stellte sich mit locker verschränkten Armen vor das Bücherregal, sodass der Pistolenlauf auf seinem prallen Bizeps ruhte. Er wartete.
Nach langen Minuten hörten wir endlich das Tock-Tock-Tock von Fairfax’ Spazierstock. Als er eintrat, funkelte sein Helm im Lampenlicht. Mit seiner Hakennase wirkte er mehr denn je wie ein übergroßer, lauernder Raubvogel. Nach kurzem Zögern ging er zu einem Ledersessel vor der Wand mit den Fotos und ließ sich mit einem erleichterten Seufzer hineinsinken. Die Maschen seines langen Kettenhemdes klirrten leise.
»Endlich!«, sagte er. »Wir haben stundenlang in diesem verflixten Keller ausgeharrt, nachdem wir die Explosion gehört hatten. Sie können Ihre Schutzkleidung jetzt ablegen, Grebe. Hier drin gibt es keine Geister.«
Er selbst senkte den Kopf und nahm erst den Helm und dann die Brille ab. Auf seiner Stirn blieb ein roter Abdruck zurück. Seine pechschwarzen Augen blickten angestrengt, sein Gesicht war jäh gealtert.
Über ihm an der Wand blickte uns sein jüngeres in Saft und Kraft
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