Lockwood & Co. - Die Seufzende Wendeltreppe: Band 1 (German Edition)
rein?«
»Keine Ahnung.«
»Warst du auch noch nie drin?«
»Nein.« Seine Brillengläser fixierten mich. »Natürlich nicht. Er hat mich darum gebeten.«
»Verstehe. Völlig richtig.« Ich strahlte ihn an. »Wie lange wohnst du eigentlich schon hier?«
»Ein Jahr.«
»Dann kennst du Anthony bestimmt gut.«
Er schob seine rutschende Brille mit einer schroffen Bewegung nach oben. »Was soll das werden? Ein Interview? Dann halt dich gefälligst ran. Ich muss nämlich mal aufs Klo.«
»Schon klar. Ich hab mich nur gefragt, wie er zu dem Haus gekommen ist. Ich meine, es ist voller Möbel und Sachen und hat so viele Zimmer, aber er wohnt ganz allein hier. Da habe ich mich gewundert …«
»Was du eigentlich wissen willst«, unterbrach George mich, »ist, wo seine Eltern abgeblieben sind, nicht wahr?«
Ich nickte. »Ja.«
»Lockwood redet nicht gern über seine Eltern. Das wirst du noch selber merken, falls du lange genug hierbleibst, um ihn auf das Thema anzusprechen. Ich vermute mal, dass sie Parapsychologen oder so was waren, sonst hätten sie nicht das ganze komische Zeugs gesammelt. Reich müssen sie auch gewesen sein, sonst hätten sie sich nicht so ein großes Haus leisten können. Jedenfalls wohnen sie schon lange nicht mehr hier. Ich glaube, Lockwood hat mal erzählt, dass er bei einem Verwandten aufgewachsen ist. Dann hat er bei Totengräber Sykes seine Ausbildung zum Agenten gemacht und das Haus irgendwie zurückbekommen.« Er klemmte die Zeitung fester unter den Arm und schlurfte an mir vorbei. »Falls du mehr wissen willst, kannst du ja deine übersinnlichen Fähigkeiten einsetzen.«
Ich starrte ihm nach. »Bei einem Verwandten aufgewachsen? Heißt das, seine Eltern …?«
»Sind nicht mehr da, richtig. Auf die eine oder andere Weise.« Er knallte die Badezimmertür hinter sich zu.
* * *
Es ist sicher nicht schwer zu erraten, welchen meiner Kollegen ich lieber mochte. Als ich in meiner Dachkammer im Bett lag, dachte ich noch einmal über die beiden nach. Auf der einen Seite war da Anthony Lockwood: lebhaft und tatkräftig, begierig darauf, sich in den nächsten Fall zu stürzen, jemand, der wahrscheinlich am glücklichsten war, wenn er mit der Hand auf dem Degenknauf in ein unerforschtes Geisterzimmer spazieren konnte. Auf der anderen Seite George Cubbins: so attraktiv wie eine verschmierte Butterdose, so charismatisch wie ein nasses Handtuch. Er fühlte sich wahrscheinlich am wohlsten, wenn er in verstaubten Akten wühlen konnte, einen Teller mit etwas zu futtern in Reichweite. Außerdem konnte er mich anscheinend genauso wenig leiden wie ich ihn. Am besten ging ich ihm aus dem Weg. Aber ich freute mich schon darauf, Seite an Seite mit Lockwood den Heimsuchungen Londons entgegenzutreten.
Kapitel 8
Neue Klienten empfing Anthony Lockwood am liebsten am späten Vormittag. So hatte er gegebenenfalls Gelegenheit, sich von einem anstrengenden nächtlichen Einsatz zu erholen. Er empfing alle Besucher in dem Wohnzimmer, in dem auch mein Bewerbungsgespräch stattgefunden hatte, wahrscheinlich weil die gemütlichen Polstermöbel zusammen mit den exotischen Artefakten das passende Ambiente für Gespräche lieferten, die jederzeit vom Alltäglichen zum Übernatürlichen wechseln konnten.
An meinem ersten Tag in der Portland Row erschien pünktlich zu seinem Termin um 11 Uhr ein neuer Klient. Er entpuppte sich als ein Herr Anfang sechzig, mit fleischigem Gesicht und schwermütigem Blick. Die wenigen Haarsträhnen, die ihm geblieben waren, hatte er kunstvoll über den kahlen Schädel gekämmt. Lockwood setzte sich mit ihm an den Sofatisch. George hatte sich ein Stück abseits an einem Schreibtisch positioniert und notierte in dem großen schwarzen Buch den Gesprächsverlauf. Ich selbst sollte an dem Gespräch nicht teilnehmen, sondern saß im Hintergrund in einem Sessel und hörte einfach nur zu.
Der Klient hatte ein Problem mit seiner Garage. Seine Enkelin weigerte sich hineinzugehen. Sie behauptete, es ginge ein Geist in der Garage um, aber sie war ein überängstliches Kind, und er wusste nicht, ob er sie ernst nehmen sollte. Trotzdem hatte er sich wider besseres Wissen (er blies die Backen auf, um seinen Widerwillen zu demonstrieren) dazu entschlossen, uns aufzusuchen und um unseren Rat zu bitten.
Lockwood war die Höflichkeit in Person. »Wie alt ist Ihre Enkelin denn, Mr Potter?«
»Das kleine Biest ist sechs.«
»Und was hat sie gesehen?«
»Man bekommt kein vernünftiges Wort aus ihr heraus.
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