Lockwood & Co. - Die Seufzende Wendeltreppe: Band 1 (German Edition)
Angeblich hat sie einen jungen Mann gesehen, der hinten in der Garage neben den Teekisten stand. Er soll sehr dünn gewesen sein.«
»Aha. Und bleibt der junge Mann immer an der gleichen Stelle stehen oder bewegt er sich?«
»Sie sagt, er steht immer am gleichen Fleck. Beim ersten Mal hat sie ihn angesprochen, aber er hat nicht geantwortet, sondern sie nur angeschaut. Wahrscheinlich hat sie es sich nur ausgedacht. Auf dem Spielplatz hört sie jede Menge über Besucher.«
»Das ist gut möglich. Und Ihnen selbst ist in der Garage nie etwas aufgefallen? Zum Beispiel, dass es dort drinnen ungewöhnlich kalt ist?«
Kopfschütteln. »Klar ist es kalt dort … schließlich ist es eine Garage, also was erwarten Sie? Und Sie brauchen gar nicht erst zu fragen: Dort ist nie etwas vorgefallen. Niemand ist dort … zu Tode gekommen oder so etwas. Der Anbau ist erst fünf Jahre alt, und ich achte darauf, dass er immer gut verschlossen ist.«
»Hmmm …«, machte Lockwood. »Haben Sie Haustiere, Mr Potter?«
Der Klient machte ein verdutztes Gesicht und schob eine lange verrutschte Haarsträhne mit dem dicklichen Finger wieder an Ort und Stelle. »Was hat das denn damit zu tun?«
»Ich wüsste nur gern, ob Sie vielleicht einen Hund oder eine Katze haben.«
»Meine Frau hat zwei Katzen. Weiße Siamesen. Hochnäsige Viecher.«
»Halten sich die Katzen öfter in der Garage auf?«
Der Klient überlegte. »Nein. Sie mögen die Garage nicht und machen immer einen großen Bogen drum herum. Ich nehme an, sie wollen sich ihren kostbaren Pelz nicht schmutzig machen, bei all dem Dreck und den Spinnweben.«
Lockwood horchte auf. »Gibt es viele Spinnen in Ihrer Garage?«
»Eine ganze Kolonie. Ich kann noch so oft fegen, es kommen ständig neue Netze nach. Aber das liegt auch an der Jahreszeit, oder?«
»Das kann ich nicht beurteilen. Aber ich würde mir Ihre Garage gern einmal anschauen. Wenn es Ihnen recht ist, kommen wir morgen Abend kurz nach der Ausgangssperre vorbei. Bis dahin würde ich Ihnen raten, Ihre Enkelin nicht mehr in die Garage zu lassen.«
* * *
»Was halten Sie von dem Fall, Miss Carlyle?«, fragte Lockwood, als wir im Bus saßen. Es war der letzte Bus auf dieser Strecke vor der Ausgangssperre. Erwachsene waren keine mehr unterwegs, dafür jede Menge Kinder, die zu ihrem nächtlichen Wachdienst in die Fabriken fuhren. Manche dösten vor sich hin, andere starrten aus dem Fenster. Ihre zwei Meter langen Wachstäbe mit den Eisenspitzen klapperten in den Halterungen neben der Bustür.
»Die Sache hört sich nach einem schwachen TYP EINS an«, sagte ich. »Der Geist bewegt sich nicht und geht nicht auf das Mädchen los. Aber die Hand dafür ins Feuer legen würde ich nicht.« Ich dachte an die kleine leuchtende Gestalt in der dunklen Wassermühle.
»Ganz meine Meinung«, erwiderte Lockwood. »Man sollte immer mit dem Schlimmsten rechnen. Außerdem gibt es in der Garage offenbar eine Spinnenplage.«
»Sie wissen bestimmt, was es mit so einer Spinnenplage auf sich hat – Miss Carlyle?«, fragte George über die Schulter und musterte mich beiläufig. Er saß auf der Bank vor uns.
Es ist eine allseits bekannte Tatsache, dass Katzen Geister hassen, Spinnen hingegen lieben Besucher. Beziehungsweise, sie lieben die übernatürlichen Schwingungen, die von manchen Besuchern ausgehen. Die Quelle eines aktiven Geists ist oft unter vielen Lagen Spinnweben verborgen, die Generationen von fleißigen Achtbeinern produziert haben. Agenten halten immer als Erstes nach dem gehäuften Auftreten von Spinnweben Ausschau. Oft hat man damit die Quelle bereits lokalisiert. Jeder wusste das. Selbst Mr Potters sechsjährige Enkelin wusste das vermutlich.
»Klar weiß ich das«, beantwortete ich Georges Frage.
»Dann ist ja gut.«
Wir stiegen in einem Viertel im Osten der großen grauen Stadt aus, nicht weit vom Fluss entfernt, der sich ein Stück weiter südlich befand. Ein Gewirr aus schmalen Straßen mit Reihenhäusern drängte sich im Schatten der Hafenkräne. Mit Hereinbrechen der Dämmerung schlossen hier die Läden gerade: kleine Klitschen, die übernatürliche Dienstleistungen anboten, billige Eisenwarenläden, selbst ernannte Fachgeschäfte, die Schutzamulette aus Korea und Japan vertrieben. In meinen ersten Wochen in London bekam ich von dem ungewohnten Trubel oft Kopfschmerzen. Die Bürgersteige waren voller Menschen, die eilig heimwärts strebten. Die Geisterlampe an der Kreuzung glomm auf, die Rollläden glitten
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