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Lockwood & Co. - Die Seufzende Wendeltreppe: Band 1 (German Edition)

Lockwood & Co. - Die Seufzende Wendeltreppe: Band 1 (German Edition)

Titel: Lockwood & Co. - Die Seufzende Wendeltreppe: Band 1 (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jonathan Stroud
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Decke lag immer noch neben dem zerwühlten Bett. Den Kleiderhaufen auf dem Stuhl musste ich bei meiner Flucht umgeworfen haben, denn die Sachen waren auf dem Boden verstreut.
    »Hier ist niemand«, sagte George. »Hast du dich vielleicht getäuscht, Lucy?«
    »Nein!«, fauchte ich. Dann ging ich zum Fenster und sah auf die Straße hinunter. »Aber ich spüre seine Gegenwart auch nicht mehr, das gebe ich ja zu.«
    Lockwood hatte sich hingekniet und spähte unter das Bett. »So, wie du ihn geschildert hast, war es ein schwacher Geist – langsam, schlecht orientiert, sonst hätte er dich bestimmt aufgespürt und gepackt. Vielleicht ist seine Kraft schon wieder aufgebraucht und er muss zu seiner Quelle zurück.«
    »Und was genau soll das bitte sein?«, fragte George. »Wo ist diese neue Quelle, die geheimnisvollerweise aus dem Nichts plötzlich in Lucys Zimmer gehüpft ist? Das Haus ist bestens gesichert. Hier kommt gar nichts rein.« Er schaute mit gezücktem Degen in meinen Kleiderschrank. »Hier sind nur ein paar hübsche Oberteile und Röcke und … Ohu, Lucy, ich hab dich noch nie so was tragen sehen.«
    Ich knallte die Schranktür so heftig zu, dass ich um ein Haar seine Wurstfinger eingeklemmt hätte. »Ich sag dir, ich hab einen Geist gesehen. Glaubst du, ich hab was an den Augen?«
    »Nö. Aber vielleicht Halluzinationen.«
    »Ich …«
    »Das ergibt alles keinen rechten Sinn«, unterbrach Lockwood uns, »außer wenn Lucy irgendein übersinnlich aufgeladenes Artefakt mit nach oben genommen hat. Hast du vielleicht die Piratenhand mit in dein Zimmer genommen, um sie dir in Ruhe anzuschauen, und dann vergessen, sie wieder in ihr Glas zu legen?«
    »Quatsch!«, schrie ich wütend. »Natürlich nicht. Ich würde nicht mal im Traum daran denken, irgendwas mit hochzunehmen, was nicht … was nicht ordnungsgemäß gesichert … Oh.«
    »George schleppt ja auch dauernd seinen Schädel durchs Haus und …« Lockwoods Blick fiel auf mein Gesicht. »Ist was, Lucy?«
    »Äh. Äh, nein.«
    »Was ist denn? Hast du doch etwas mit hochgenommen?«
    Ich schaute ihn verlegen an. »Ja«, sagte ich kleinlaut. »Ja, das hab ich wohl.«
    Lockwood und George drehten sich beide nach mir um, sodass sie dem Schrank und den verstreuten Kleidern den Rücken zuwandten. Während sie jetzt gleichzeitig auf mich einredeten, flackerten an der Wand hinter ihnen schwache Lichtstrahlen auf. Eine Gestalt erhob sich vom Boden: magere Arme und Beine, ein mit Sonnenblumen gemustertes Kleid, lange blonde Haare, die in wirbelnde Nebelspiralen übergingen, ein zur Fratze verzerrtes Gesicht … Ich stieß einen Schrei aus. Die beiden Jungen fuhren herum, als die Erscheinung gerade die Finger mit den spitzen Nägeln nach ihnen ausstreckte. George schwang seinen Degen. Die Klinge bohrte sich in meinen Kleiderschrank. Lockwood schwenkte wie wild das Mobile. Eine Druckwelle ging durchs Zimmer, als das Eisenblech die Erscheinung streifte. Das Geistermädchen verschwand. Ein eisiger Windstoß fegte durch die Dachkammer, sodass mir das Nachthemd gegen die Beine schlug.
    Dann lag die Dachkammer wieder im Dunkel.
    Jemand hüstelte. George zerrte an seinem Degen, um ihn freizubekommen.
    »Sag mal, Lucy …«, Lockwoods Ton war gefährlich ruhig, »sah dieser Geist nicht aus wie …?«
    »Ja. Es tut mir echt leid. Ehrlich.«
    George befreite die Degenklinge mit einem Ruck aus dem Schrank. Als er einen Schritt zur Seite machte, knackte es unter seiner Stiefelsohle. Er bückte sich und fischte etwas aus dem Kleiderhaufen neben dem Stuhl. »Huch!«, sagte er. »Das Ding ist ja eiskalt!«
    Lockwood hob die Taschenlampe auf und richtete den Lichtstrahl auf den Gegenstand, der zwischen Georges Fingern baumelte. Ein leicht verbeulter Anhänger, der an einer dünnen Goldkette glitzernd hin und her schwang.
    Lockwood und George starrten die Kette an. Sie starrten mich an. Dann nahm George das leere Silberglas von seinem Gürtel, ließ die Kette samt Anhänger hineinfallen und drehte den Deckel zu, bis er mit einem Klick! einrastete.
    Lockwood richtete die Taschenlampe voll auf mein Gesicht. Ich stand geblendet da und wand mich vor Verlegenheit.
    »Äh … ja. Das ist die Kette des toten Mädchens«, gestand ich. »Ich … ich wollte es euch noch sagen, ich bin bloß noch nicht …« Zerzaust und verpflastert stand ich in meinem zerknitterten Nachthemd da und lächelte meine Kollegen so liebreizend an wie möglich.

Kapitel 12
    Der folgende Morgen kündigte einen schönen Tag

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