Loecher, noch und noecher
und jede Menge verweinte Taschentücher, in die er immer hineinrotzt, wenn er an seine Zeit im Waisenhaus denkt. Er findet jede Menge Wettscheine, mit denen er vergeblich das Glück sucht, und die eine oder andere Telefonnummer von der Erni, der Irmi, der Trudi oder der Ursi – was sich herumtreibt, kommt herum! Dann findet er noch einen Tausender, den er sich von der Anni ausgeborgt hat, und wartet noch auf die späten Nachmittagsrennen in Wolverhampton, England, auch immer tiefes Geläuf, auch immer regenverhangener Himmel, auch immer bonjour tristesse.
Warum er auf Pferde wettet? „Pass auf, Anni“, hätte er ihr die Sache irgendwie erklären können, wenn die Sache irgendwie zu erklären wäre: „Mit dem Autokonzernlenker Raff-Kahn aus Deutschland bin ich ja dauernd in Kontakt, dauernd, Anni, nicht auf gleicher Augenhöhe zwar, und schon gar nicht auf gleicher Wellenlänge, weil er ein Konzernlenker ist und ich ein kleines Angestelltenarschloch, aber immerhin in Kontakt – Schwarzgeld, Anni, richtig, was glaubst denn du?“ Und der erzählt ihm vor fünf Jahren, dass sein Konzern einen gar nicht so kleinen Teil von seinen enormen Gewinnen in Rennpferde investiert, jedenfalls mehr als in die betriebliche Altersvorsorge, „das glaubst du nicht, Anni, wo die überall Pferde haben: in Dubai, in Hongkong, in Kalifornien Dschibutti und Cincinatti Ohio“, und wenn es dich kleiner Scheißer interessiert, hat er zu ihm gesagt, wie ihm die Schulden schon gewaltig um die Ohren gepfeffert sind, dann setz ein Monatsgehalt auf Rudy the renteer im dritten Rennen, und zwar auf der Rennbahn drüben in Santa Anita, California, gehört beides dem Konzern, das Rennpferd und die Rennbahn, hähä, und der Rudy ist schnell wie das neue von mir in Auftrag gegebene Sportcoupe, da kann überhaupt nichts passieren!“
Hat er gesagt. Aber dann!
„Ich hab doch auch geglaubt, Anni, dass ein Autokonzern keine langsamen Pferde kauft!“ So aber war das erste Monatsgehalt durch den Kamin geschossen, und exakt seit damals versucht er mit immer neuen Wetten das Minus auszugleichen, was aber bis heute nicht gelungen ist, er hat nämlich nie wieder Glück gehabt und seit der Maxisingle vom Shubidu keine Brunzschüssel mehr gewonnen. Und seither sieht er überhaupt nur noch den regenverhangenen Himmel mit den ganzen schwarzen Wolken über der Rennbahn, auch wenn draußen die Sonne scheint, „und das macht mich so traurig, Anni, glaub mir, es gibt auf der ganzen Welt nichts Traurigers als ein Wettcafe an einem verschneiten Nachmittag kurz vor Weihnachten, nicht einmal im Waisenhaus war es vor Weihnachten so traurig wie jetzt am Nachmittag im Wettcafe.“
Als sich der Jackpot Charlie im Spiegel hinter der Bar anschaut, sieht er einen Blender, einen Selbstdarsteller, einen Schwinderl und Tunichtgut. Er sieht alles Mögliche, nur nicht den kühlen Burschen, der er immer hat sein wollen, den wandelbaren Mister Cool, den Boogie King, den Disco-Gott. Er sieht auch nicht den Schuster Ronnie, der die Hardrockerei längst hinter sich gelassen und heute ein Gastro-Imperium namens BAHO-GASTRO mit Schwerpunkt Bahnhofsrestaurants führt, das hinten und vorne kracht wie eine Kaisersemmel, der aber immer noch lässig und super ist, immer blondiert, immer geföhnt, immer nach dem dernier cri gekleidet – „Geh Anni, letzter Schrei heißt das, ein bisserl Latein sollte man schon können!“ – und der für morgen drüben in Goisern – „das glaubst du jetzt nicht, Anni!“ – , ein Konzert vom Shubidu Jack angesetzt hat, ausgerechnet der ärgste Schlager-Feind holt sich jetzt den ärgsten Schlager-Fuzzi ins Haus, und er selbst hat jetzt nicht einmal das Geld für zwei Karten, „Anni, ich glaub fast, ich hab verloren!“
Irgendwann hat er dann nämlich angefangen, aus den Sparschweinderln von den kleinen Volksschulkindern Geld abzuzweigen, „kleine Menschen, kleine Summen, Anni, was glaubst denn du, da ist ja nix drin in so einem Sparschweinderl!“. Damit hat er aber die Löcher nicht stopfen können, die sich bei ihm aufgetan haben. Also ist er dann manches Mal länger im Büro geblieben und hat sich die Konten von den Kunden angeschaut, „aber Anni, da war auch nichts! Die Hotellerie ist ja bis unter die Schnitzelpanier verschuldet, beim Pfarrer geht alles für die Alimente drauf, und der Biermösel, geht bitte, Anni, der Biermösel hält einen Hedge fonds für einen Mähdrescher, also was soll ich bei dem leerräumen?“
„Geh Charlie“,
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