Löffelchenliebe (German Edition)
besitze.
Auf der linken Straßenseite taucht die gepflasterte Zufahrt von Richards Altenheim auf, roter Backstein, der Taxifahrer gibt Gas und rauscht daran vorbei. Ich muss mir oft vorstellen, wie es wohl ist, wenn David und ich mal alt sind. Er sieht seinem Opa so ähnlich. Manchmal hätte ich gerne alles schon hinter mir. David und ich könnten dann ruhig und faltig beieinander auf dem Sofa sitzen, eine Kanne mit dampfendem Ostfriesentee auf dem Stövchen vor uns, knackender Kandiszucker auf dem Tassenboden. Oder wir schlendern im Schneckentempo zusammen die Straße hinunter, stützen uns gegenseitig auf dem Weg zum Briefkasten, in der Hand einen Brief an unser Enkelkind, darin gepresster Klatschmohn und Lavendel aus dem Garten.
Das Taxi biegt auf den Flughafenzubringer ein, ich krame mein Handy aus der Tasche und wähle Davids Nummer.
»Anna.« Er klingt ganz nah.
»Ja.« Ich stecke meine freie Hand unter den Po. »Ich hab gedacht … Ich wollte noch mal deine Stimme hören, bevor ich ins Flugzeug steige.«
»Schön. – Bist du im Taxi ?«
»Ja, und gleich auch schon am Flughafen.«
»Verstehe. Du, ich hatte so ein komisches Gefühl gestern Abend, weil du so überstürzt abgehauen bist. Das war, als ob … Ist alles in Ordnung ?«
»Ja, hm, so einigermaßen. Können wir reden, wenn ich wieder zu Hause bin ?«
»Natürlich können wir das. Ist denn was … Schlimmes ?«
Ich höre, wie David ein Fenster öffnet.
»Na ja, schlimm nicht, hoffe ich. Es geht nur noch mal um das eine Thema, das, was wir beim Picknick, was dein Opa und meine Mutter, also …« Ich muss es endlich aussprechen lernen. »Um Kinder.«
Der Taxifahrer hält vorm Abflugterminal und sieht neugierig in den Rückspiegel.
»Ich würde da gerne noch mal in Ruhe mit dir drüber sprechen«, flüstere ich.
David ist für einen Moment still, dann räuspert er sich: »Ja.«
»Was ja ?«
»Du würdest da gerne noch mal in Ruhe mit mir drüber sprechen. – Okay.«
»Hm, ja, okay. Ich melde mich bei dir, wenn ich zurück bin. Mach’s gut.«
»Anna ?«
»Ja ?«
»Ich liebe dich.«
Und ich liebe dich, David, denke ich und drücke ihn weg.
Gut, dass mich hier keiner kennt. Ich fühle mich nun doch ziemlich verkleidet in den dicken braunen Wanderschuhen, die unweigerlich zum Stampfen animieren, der olivgrünen Hose mit abnehmbarem Bein und meiner gelben Outdoorjacke, die Teil einer Partner-Regenjackenkombination sein könnte. Nicht zu vergessen die weiße Fleecemütze mit Bommel. Habe mir für die Wanderung eine neue Rundum-Montur gegönnt, die an sich auch schick ist, allerdings wirkt sie im gläsernen Ambiente des Hamburger Flughafens so fehl am Platz, als würde Reinhold Messner im Businesskostüm an der Nordwand hängen. Mir blieb jedoch keine andere Wahl, denn wenn irgend möglich reise ich nur mit Handgepäck. Seit mein Koffer einmal nicht bei der Gepäckausgabe aufgetaucht ist und ich vor lauter Panik drauf und dran war, den Tower zu stürmen, seitdem vermeide ich es, mein Gepäck aufzugeben. Ich gebe es ungern zu, aber mein Koffer war damals gar nicht weg, sondern rollte bloß ein paar Minuten später als die anderen übers Band, als ich mir schon längst einen Bodenpersonalsuchtrupp zusammengestellt hatte. Jedenfalls überkommt mich seit diesem Vorfall eine mittelschwere Paranoia, wenn ich mir vorstelle, mein Koffer samt Inhalt könnte abhandengekommen sein und ich mit Nichts an einem fremden Ort. Ich habe Bilder im Kopf, wie ich die kofferlose Reise ausschließlich damit verbringe, durch Parfümerien und Boutiquen zu rennen und Telefonate mit meinen Lieblingsläden in Hamburg zu führen, um mir genau die Sachen wieder zusammenzusammeln, die sich im verschwundenen Koffer befinden. Wenn ich wiederum einen Flug vor mir habe, der ein Einchecken des Koffers unumgänglich macht wie im letzten Jahr, als ich für drei Wochen in San Francisco war, dann bemühe ich mich, nur Kleidungsstücke aus der aktuellen Kollektion einzupacken. Die sind im Fall der Fälle problemlos nachkaufbar. Ein Drama, wenn meine dunkelblaue Lederjacke von Oakwood aus der vorvorvorletzten Saison plötzlich nicht mehr da wäre. Und weil ich natürlich nicht per se Klamotten für drei Wochen aus der aktuellen Kollektion besitze, muss ich vor einem solchen Flug eine Woche Extraurlaub einplanen, um die Lücke durch ausgedehnte Shoppingtouren zu füllen. Für einen Kurztrip wie diesen hingegen stopfe ich alles in meinen kleinen Trolley, der gerade so eben als
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