Löffelchenliebe (German Edition)
vorne unterhalb der Brust schließt und am Rücken Nichtvorhandensein vorgaukelt. Wenn ich mir Hectors Hände beim Tanzen auf meiner nackten Wirbelsäule vorstelle, wird mir ganz anders.
Er lächelt: »Wir müssen auch nicht tanzen, Anna.«
»Doch. Nein. Ich meine, warum eigentlich nicht.«
Ja, warum eigentlich nicht ?
»Na dann. Darf ich bitten ?«
Er steht auf, zieht sein Jackett aus und hält mir die Hand hin. Ich lege meine hinein und gleite vom Hocker. Hectors zweite Hand legt sich auf meinen Rücken und führt mich quer durch die Bar zum Flügel. Er flüstert dem Pianisten etwas ins Ohr, der nickt, und kurz darauf wechselt die Klaviermusik von Jazz zu einer Ballade. Die kenne ich !
Wie hieß sie noch gleich ?
Hector lächelt mir zu, er zieht mich an sich und hält ein paar Sekunden inne, bevor wir anfangen, uns langsam und gleichmäßig zu bewegen. Sein Griff ist fest und sanft zugleich, wir sind das einzige Tanzpaar. Nach ein paar Minuten vergesse ich seine Hand auf meinem Rücken und merke, wie ich lockerer werde. Ich schließe die Augen. Der Whisky ist warm in meinem Körper, und meine Bewegungen sind weich. Ich drehe meinen Kopf vor seiner Brust zur Seite, ohne dass meine Wange ihn streift. Er riecht auffällig. Nach irgendeinem teuren Aftershave oder Parfüm, das ich schon gerochen habe, als ich mich auf dem Barhocker ein wenig vorgebeugt habe. Er fühlt sich fremd an, nicht schlecht, nur ungewohnt.
Nun stehe ich also hier auf hohen Hacken an einen fremden Mann gelehnt, statt im Allgäu in dicken Socken oder geliehenen Gymnastikschläppchen den Klamauk des Überraschungsgastes mitzumachen – ich tippe ja auf Philipp Lahm –, spüre den Stoff seines Hemdes an meiner Wange und denke an David. Ich sollte nicht hier sein.
»Es ist schön, mit dir zu tanzen«, flüstert mir Hector ins Ohr.
Ja, es ist schön.
»Was mir vorhin durch den Kopf gegangen ist, Anna«, flüstert er weiter, »und ich möchte mich schon einmal im Voraus für diese womöglich indiskrete Frage entschuldigen. Ich habe mich gefragt: Möchtest du eigentlich irgendwann Kinder ? Oder bist du vielleicht sogar schon Mutter ?«
Wie bitte ?
Wie kommt er denn jetzt darauf ? Ist das so offensichtlich ? Ich bin versucht, an meine Stirn zu greifen und nachzufühlen, ob sich da der berüchtigte Zettel mit der Aufschrift ICH WILL EIN KIND VON DIR ! findet. Ich dachte, ich würde nicht so bedürftig wirken, dass jeder Mann, mit dem ich nur ein paar Worte wechsle – oder meinetwegen tanze –, sofort das Ticken hört. Und ich war froh, dass ich, seit ich Hamburg verlassen habe, nicht mehr an dieses Bauchschmerzthema denken musste. Ich gehe ein Stück auf Abstand und sehe Hector an.
»Okay«, sagt er und bewegt sich langsam weiter, »das war wohl die falsche Frage.«
»Nein, Quatsch, wieso ?« Mein Mund verzieht sich automatisch zu einem Lächeln, das Lockerheit vortäuschen soll. »Ich hab mich nur gewundert, wie du darauf kommst.«
»Tja, wie komme ich darauf.« Hector hält in der Bewegung inne. »Mein Bruder ist ein paar Jahre jünger als ich und gerade zum zweiten Mal Vater geworden. Kurz bevor du kamst, habe ich mit ihm telefoniert. Da spukte mir das Thema wohl noch im Kopf herum.«
Hm. Trotzdem eine komische Frage.
Er will mich abchecken, schießt es mir durch den Kopf. Mutig, weil wenig subtil, das muss man ihm lassen. Nur warum ? Mit welcher Hoffnung ? Ich schaue unauffällig zu ihm hoch. Hat er gehofft, ich würde sagen: Kinder ? Gott bewahre ! Ich bin total unkompliziert und unverbindlich und unmütterlich. Hätte er mich dann im Anschluss enger an sich gezogen, und wäre seine Hand zielsicher meine Wirbelsäule hinabgerutscht ? Oder ist es genau andersherum, und er hatte die Fantasie, dass ich sagen könnte: Kinder ? Ja klar ! Wann geht’s los ? Ich bin bereit. Und hätte er mich daraufhin enger an sich gezogen und mir mit der rauchigsten aller Stimmen ins Ohr gehaucht: Ich auch.
Quatsch ! Ich tippe eindeutig auf Ersteres, denn den zweiten Männertyp, den gibt es einfach nicht. Was soll’s, was er kann, kann ich schon lange, denke ich, werfe alle Hemmungen über Bord und sage geradeheraus: »Ja, ich will Kinder. Und was ist mit dir – möchtest du Kinder ? Oder bist du schon Vater ?«
Wenn ich bloß bei David so locker sein könnte. Aber von seiner Antwort hängt so viel mehr ab.
Hector sieht mich aufmerksam an. Dann sagt er: »Nein, Vater bin ich noch nicht, aber, ja, ich möchte Kinder.«
Schweigen.
Wie
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