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Löffelchenliebe (German Edition)

Löffelchenliebe (German Edition)

Titel: Löffelchenliebe (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Julia Kaufhold
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festgefroren stehen wir vor dem Flügel, unsere Hände liegen noch immer ineinander, unsere Augen sind aufeinander gerichtet. Der Pianist hat eine weitere Ballade angestimmt, leise Stimmen dringen von der Bar herüber, das Licht ist genauso schummrig wie zuvor, aber irgendetwas hat sich verändert. Als ginge um uns herum alles seinen gewohnten Gang, und nur ich wäre stehen geblieben wie eine Standuhr, deren Pendel mitten im Schwingen zur einen Seite stockt. Ich halte die Luft an. Und in meine Ohren schleicht sich ein leises Summen, das alle Geräusche verschluckt und meinen Kopf in weiche Watte hüllt.

Neun
    M e ine Mutter sitzt auf meinem Sofa und füllt Leinsamen in ein Weckglas. Der Fernseher läuft.
    »Was machst du denn hier ? Wie bist du … Der Schlüssel war doch nur für Notfälle gedacht !« Ich schlage mir aus Versehen den Trolley gegen das Schienbein, begrüße im Geiste blauen Fleck Nummer vier am linken Bein in dieser Woche und ziehe mir die schwitzige Bommelmütze vom Kopf.
    »Meine liebe Anna, das ist ein Notfall. Und außerdem: Was machst du eigentlich hier ? Du wolltest doch erst übermorgen zurückkommen.« Sie mustert mich eingehend. »Neue Frisur ? Wusste gar nicht, dass Dauerwelle wieder in ist. Was meinst du«, sie streicht sich durch die dünnen Haare, »ob mir das auch stehen würde ?«
    Vor ihr auf dem Sofatisch sind alle Nahrungsmittel aus meinen Küchenschränken aufgereiht. Drei Müslisorten, Reis, Couscous, Spiralnudeln, Penne, Mehl, Zucker, Sonnenblumenkerne und vieles, was ich nicht so schnell überblicken kann.
    »Und worin besteht dieser Notfall ?« Ich schäle mich aus meiner kanariengelben Outdoorjacke.
    Sie klopft auf das Glas mit den Leinsamen und schnaubt. »Es war nicht mehr mit anzusehen, wie die Lebensmittel bei dir verrotten. Kerne und Körner gehören in fest verschließbare Gläschen, sonst hast du schneller, als du gucken kannst, Mehlwürmer in der Küche.«
    »Ich hatte noch nie Mehlwürmer. Die Sachen stehen nicht lange rum, ich esse sie.«
    Meine Mutter ignoriert meinen Einwand und kürzt die fast leere Verpackung des Toastbrotes mit der Küchenschere bis knapp über die zuoberst liegende Scheibe.
    »Hier, aus dem übergestandenen Plastik kannst du was Schönes basteln.«
    »Mama !«
    Ich möchte jetzt wirklich allein sein. Brauche auf der Stelle Zeit für mich. Ohne meine Mutter und ohne zu laut eingestelltes Regionalfernsehen. Meine Mutter guckt immer diesen Sender, Hamburg 1, der in meinem Gerät ein trauriges Dasein auf Platz 38 fristet, kurz vor Bibel TV . Ich stehe unschlüssig am Fenster und sehe auf die Straße. Dauerregen und brauner Blättermatsch.
    »Du, Mama, ich würde gerne erst mal in Ruhe ankommen. Könntest du …«
    »Anna ! Guck mal, da ist Dawitt !«
    Ich suche die Straße ab, die leer ist, bis auf einen alten, durchnässten Mann mit Aldi-Tüte, der einen Mülleimer nach Pfandflaschen durchwühlt.
    »Nein, hier ! Im Fernseher !«
    Ich folge dem Blick meiner Mutter, und wirklich, da ist er, lebendig und in Farbe. Es läuft ein Live-Beitrag zur Demo, und David steht neben einem Bannerträger, der gerade interviewt wird. Mein David. Unglaublich. Ich lasse mich neben meiner Mutter aufs Sofa fallen.
    »Pass doch auf !« Sie zieht die Schere unter meinem Po hervor. »Was steht denn da auf dem Bettlaken von dem jungen Mann ?« Meine Mutter beugt sich vor und kneift die Augen zusammen. »Kli-ma-schutz durch Ge-bur-ten-kontrolle. Was soll das denn heißen ?«
    Ich starre auf den Bildschirm. Die Kamera zoomt auf das Spruchband. Und da steht es rot auf schmutzigweiß: KLIMASCHUTZ DURCH GEBURTENKONTROLLE . Schwenk nach rechts: David, wie er grinst und einen Daumen hebt.
    Er hebt einen Daumen.
    Überbevölkerung. Geburtenkontrolle. Keine Kinder.
    »Guck mal, wie freundlich Dawitt guckt.« Meine Mutter hockt jetzt direkt vor dem Fernseher, ihr Kopf verdeckt den Bildschirm. »Da hast du ja wirklich einen netten Jungen abbekommen. Der Dawitt, der setzt sich ein. Wie Dirk, du weißt schon, der Sohn vom Wolfgang aus meinem Lesekreis. Hab ich dir schon erzählt, dass Dirk geschrieben hat, dass zu wenige Abfalleimer im Drosteipark stehen ? In der Zeitung ! Und stell dir vor, jetzt haben sie tatsächlich zwei neue Mülleimer hingestellt. Aber jetzt sag doch mal, Anna, was heißt denn das mit der Geburtenkontrolle ?«
    »Keine Kinder.«
    Die Haare am Hinterkopf meiner Mutter sind platt gedrückt. In meinen Ohren fängt es schon wieder an zu summen, aber diesmal lullt

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