Löffelchenliebe (German Edition)
eintausendfünfhundert Meter Höhe« – mir wird schlecht – »sodass wir bereits mittendrin sind im Alpenvergnügen. Also, Berg Heil !« Das Mikrofon kreischt.
»Bevor ich es vergesse«, ruft Herr Dahl gegen das Quietschen an. »Ich möchte es nicht versäumen, Ihnen unsere beiden mitreisenden Journalistinnen vorzustellen, Frau Brix und Frau Hagebuttdorn. Sie begleiten unseren Walk. Stehen Sie doch mal auf, Sie beide.«
Ich erhebe mich, und Herr Dahl reißt meinen rechten Arm in die Höhe. In Freiheitsstatuenpose grinse ich gequält bis zur Rückbank. Kollegin Hagebuttdorn bleibt sitzen.
»Frau Brix und«, Herr Dahl schaut sich suchend um, »ja, und Frau Hagebuttdorn werden sich in den nächsten Tagen immer mal wieder mit Ihnen unterhalten und sich dabei die eine oder andere Notiz machen. Seien Sie ganz Sie selbst, es tut auch gar nicht weh. Haha.«
Das Pärchen in Reihe drei, etwa mein Alter, wirft mir mitleidige Blicke zu, die ich dankbar erwidere. Dann darf auch ich mich wieder setzen.
Eintausendfünfhundert Meter Höhe. Und das ist erst der Anfang. Ich weiß nicht, wie ich das überleben soll. Was, wenn ich mit einem Mal die Kontrolle verliere, aus einer fixen Laune heraus einen unbedachten Schritt nach vorn mache, ins Leere trete und in eine Felsspalte oder über einen steilen Abhang in die Tiefe stürze. Ich kenn mich doch, ich guck nicht so genau hin, wohin ich trete. Auf dem platten Land ist das ja egal, aber im Gebirge entscheidet ein falscher Schritt über Leben und Tod. Und was, wenn ich gar nicht sofort sterbe, sondern Tage oder Wochen mit gebrochenen Hachsen im Abgrund hänge und langsam und qualvoll dahinsieche ? »Ach, unsere Frau Brix, die läuft öfter mal so mir nichts, dir nichts davon«, wird Herr Dahl sagen und dem Teilnehmer, der gerade die Bergwacht alarmieren wollte, das Telefon aus der Hand nehmen. »Machen Sie sich um die mal keine Sorgen.«
Das Schlimme ist, dass ich mir selbst nicht hundertprozentig traue. Es erscheint mir wie eine Fünfzig-fünfzig-Chance, ob mein Körper sich der Kontrolle meines Bewusstseins unterwirft, oder ob er in einem winzigen Moment der Unachtsamkeit, berauscht durch die Höhe, macht, was er will. Und sei es nur einen läppischen Ausfallschritt. Fifty-fifty ! Das ist zu wenig.
Der Bus ist mittlerweile von der Autobahn abgefahren und dabei, sich einen Berg hochzuschrauben. Die Serpentinen werden immer enger, die Fahrbahn immer schmaler und steiler, und in meinen Ohren beginnt es zu rauschen. Die Begrenzung zum Abhang ist nur noch rudimentär vorhanden, und der Wendekreis des Reisebusses zu groß für die Spur. Einen Moment später nehme ich nichts mehr wahr außer dem Pfeifen in meinen Ohren und meinem Körper, um den sich mit jeder Kurve die Schlinge fester zu ziehen scheint. Ich bekomme keine Luft mehr.
»Sehen Sie«, schrillt Frau Hagebuttdorns Stimme in meinem linken Ohr, »Milbenkot macht Atemnot.«
Ich muss hier raus.
In diesem Moment klingelt mein Handy. Ich krame es mit einiger Mühe aus der Innentasche meiner Funktionsjacke hervor und sehe eine unbekannte Nummer.
»Ja-ha-ha-ha ?«, hyperventiliere ich in das Gerät.
»Anna Brix ?«
»Ja-ha.«
»Hallo, hier spricht Hector ST . Ich wollte fragen, ob Sie noch in München sind. Bei mir hat sich nämlich der heutige Abendtermin zerschlagen, und wenn Sie noch in der Stadt sind, würde ich Sie gerne zum Essen einladen. Falls Sie nicht anderweitige Verpflichtungen haben.«
» TOT ?«, rufe ich geistesgegenwärtig und wittere eine vage Chance. Ich brülle so laut ins Telefon, dass auch der auf seinem Sitz noch immer auf und ab hopsende Herr Dahl mich hören kann. Und noch einmal, damit er es auch wirklich mitbekommt: »Tot ? !«
»Äh …«, kommt es vom anderen Ende der Leitung.
»Natürlich, ich komme sofort. Nein, nein, mach dir keine Gedanken, in so einem Fall müssen die beruflichen Pflichten zurückstecken. Ich stehe dir bei und werde mich um alles kümmern.« Mit feuchten, zittrigen Händen stecke ich mein Handy wieder in die Jackentasche. Herr Dahl und die Hagebutte sehen mich perplex an.
»Ist jemand gestorben ?«, fragt meine Nachbarin nach etwa fünf Schrecksekunden. »An einer Seuche ?«
Herr Dahl starrt mich noch immer schweigend an. Ich erkläre ihm mit betroffener Miene und nun regelrecht nassen Händen, dass mein Opa meine Oma – Gott hab sie selig – tot auf dem Sofa gefunden hätte, dass er zusammengebrochen wäre und keine Ahnung hätte, was zu tun sei. Die anderen
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