Lösegeld am Henkersberg
Da fällt mir
ein: Als Alice von der Haushilfe Farina erzählte — der in Brüssel — , fiel da
nicht der Name Enrico? Der sei Farinas Freund. Durchaus möglich, Willi, daß aus
der Ecke ein Faden gesponnen wurde. Aber das wissen wir bald genau. Denn jetzt
geht’s ans Aufräumen. Ab die Post, zur Penne!“
*
Auf der Zubringerstraße — sie hatten
die Internatsschule fast erreicht — hörte Tim das Motorrad nahen. Es kam aus
Richtung Stadt. Einen Moment später preschte Gluschke an ihnen vorbei, in
seiner sonderbaren Haltung auf der gelb-bronze-farbenen Maschine.
„Den kauf ich mir im Fahrradschuppen“,
rief Tim und sauste los.
Durchs Tor aufs Schulgelände. Dort war
er. Der Hausmeister-Gehilfe schob seine Maschine, hatte den Helm abgenommen und
nestelte an der Lederjacke. Jetzt wurde der heiße Ofen in den Schuppen gerollt.
Langsam fuhr Tim hinterher. Dann war
Klößchen da, schnappte nach Luft und stieg ab. Zusammen bugsierten sie ihre
Tretmühlen durch die breite Tür.
Die Deckenleuchte brannte. Gluschke
hatte seine Maschine in die Ecke gestellt und blickte sich um.
„Willi“, sagte Tim. „Warte draußen! Und
mach die Tür zu! Falls du Schmerzensschreie hörst — denk dir nichts.“
Klößchen nickte. Sein angewiderter
Blick galt Gluschke, dann fiel die Tür zu, und in dem Fahrradschuppen wurde es
still wie unter Wasser.
Tim ging auf den Mann zu.
„Ich glaube, Sie wissen, Gluschke“,
sagte er leise: „Gaby Glockner ist meine Freundin. Daher mag ich es nicht, wenn
ihr was zustößt. Ich mag es ganz und gar nicht. Mir gefällt auch nicht, daß
Alice Theisen von Kidnappern entführt wird — ganz zu schweigen von 27 weiteren
Mitschülern. Böse Menschen, diese Kidnapper, nicht wahr? Ich meine Enrico,
Carlo, Döbbel und... noch einen.“
Nach Tims Worten wurde es noch stiller
als unter Wasser.
„Ich habe nur eine einzige Frage“,
sagte Tim. „Wo sind die Geiseln?“
*
Klößchen wartete natürlich nicht vor
der Tür, sondern rannte zur Besenkammer und verständigte Glockner.
Genau 18 Minuten später stürmte ein
Polizeiaufgebot auf das Gelände des ehemaligen Fuhrunternehmens Winzig. Die
beiden Ganoven wurden überwältigt, bevor sie die veränderte Lage begriffen.
Den Hubschrauberpiloten Alois Fallmeier
ereilte die Festnahme, als er die Grenze zur Schweiz passieren wollte. In
seinem Wagen fand man die 100 000 DM.
Glockner selbst kam zur Internatsschule
— in Windeseile. Tim wartete am Tor.
„Enrico und Carlo“, erklärte er, „sind
im Hotel Lido-Palace. Der Möbelwagen mit den Geiseln wird momentan von Döbbel
bewacht. Das Versteck ist das ehemalige Gelände der Chemiefirma Drinzl und
Breitlacher. Alle Geiseln sind im Möbelwagen eingeschlossen, aber gesund — behauptet
Gluschke.“
„Von dem weißt du alles?“
„Er hat’s mir gesagt.“
„Freiwillig?“
„Na ja, unsere Schulschwester kümmert
sich jetzt um ihn. Sie hat den Arzt verständigt. Und entsetzt ist sie. Aber
nicht über Gluschkes Rolle als Kidnapper, sondern über mich. Verrückte
Karbolmaus! Der Mistkerl hat mich angegriffen. Also war ich in Notwehr. Die
paar Schrammen. Na ja, ein Arm ist ausgekugelt. Und das Nasenbein hat... Aber
bis zum Prozeß ist er bestimmt wieder rüstig.“
*
Döbbel leistete keinen Widerstand.
Als der Möbelwagen geöffnet wurde, fiel
Gaby erst ihrem Vater und dann Tim in die Arme.
Alice sah noch blasser aus als bei
ihrer Ankunft, hatte aber die Gefangenschaft gut überstanden — auch ohne ihre
Medizin.
Weidrich wurde gegen Mitternacht
verhaftet, als er betrunken heimwärts schwankte. Er wurde nicht fertig mit seinem
schlechten Gewissen und hatte versucht, die Schuldgefühle im Schnaps zu
ertränken. Nicht wissend, daß so was niemals gelingt.
Als Enrico und sein Bruder Carlo in
Handschellen auf dem Polizeipräsidium ihre Geständnisse ablegten, schonten sie
auch die Komplicen im Hintergrund nicht. Welche Rolle die Haushilfe Farina
Cincalia spielte, kam ans Licht.
Zudem stellte sich heraus, daß die
Kidnapper einen Auftraggeber hatten, nämlich einen fernöstlichen
Industriekonzern, dessen führende Köpfe allerdings nicht wußten, mit welchen
Mitteln ihr Vertrauensmann Enrico Vedmillia die Forschungsergebnisse beschaffen
wollte. Daß es die noch gar nicht gab, erfuhren die Auftraggeber ebensowenig
wie der Rest der Welt. Denn alle, die das wußten, verloren darüber kein Wort.
E N D E
Liebe Stefan-Wolf-Freunde!
War spannend, nicht
wahr?
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