Lösegeld Für Einen Toten
wirklich betrauerte, eine treue und pflichtbewußte Frau gewesen war, so war doch Liebe ein viel zu großes Wort für das, was sie für ihn empfunden hatte, und ein fast zu geringes für das, was sie für den Jungen empfand, den sie ihm geschenkt hatte. Sybillas Gedanken galten der Zukunft und nicht der Vergangenheit.
»Mein Herr«, sagte sie, »Ihr wißt, wo wir in den nächsten Tagen zu finden sind. Laßt mich nun mit meiner Tochter gehen, denn wir haben viele Dinge zu erledigen.«
»Wie es Euch beliebt, meine Dame«, erwiderte Hugh.
»Ihr sollt nicht mehr als unbedingt nötig belästigt werden.« Und er fügte noch hinzu: »Aber Ihr solltet wissen, daß die Frage nach der fehlenden Nadel noch nicht beantwortet ist. Es war nicht nur einer, der die Abgeschiedenheit Ihres Gatten störte.
Vergeßt das nicht.«
»Das will ich gerne Euch überlassen«, sagte Sybilla entschieden. Und damit ging sie hinaus, die Hand gebieterisch um Melicents Ellbogen geschlossen. Sie kamen an der Tür dicht an Elis vorbei, und sein sehnsüchtiger Blick fiel auf das Gesicht des Mädchens. Sie glitt ohne einen Blick an ihm vorüber, ja sie zog sogar die Röcke an sich, als befürchtete sie, ihn beim Gehen zu berühren. Er war zu jung, zu offen, zu schlicht, um zu verstehen, daß mehr als die Hälfte des Hasses und des Abscheus, die sie fühlte, sich nicht gegen ihn, sondern gegen sie selbst richtete, weil sie viel zu weit gegangen war, als sie den Tod eines Mannes gewünscht hatte, den sie Vater nannte.
7. Kapitel
In der Totenkammer, deren Tür jetzt fest geschlossen war, standen Hugh Beringar und Bruder Cadfael neben Gilbert Prestcotes Leiche und schlugen Mundtuch und Decke auf die eingefallene Brust zurück. Sie hatten Lampen mitgebracht und in der Nähe abgestellt, wo sie ruhig brannten und das tote Gesicht gleichmäßig und stark ausleuchteten. Cadfael nahm die kleinere Lampenschale in die Hand und bewegte sie langsam über den Mund, die Nase und den ergrauten Bart, um jede Veränderung auszumachen und jedes Staubkörnchen und jedes Fädchen zu entdecken.
»Egal, wie schwach er ist, egal, wie tief er schläft, ein Mann wird immer nach Kräften um seinen Atem kämpfen, und was immer über sein Gesicht gepreßt wird, er wird atmen, solange es nicht so hart und glatt ist, daß es sich nicht dicht anlegen kann. Und er hat es getan.« In den geweiteten Nasenlöchern waren feine Härchen zu erkennen, in denen sich kleinste Partikel fangen konnten. »Seht Ihr die Farbe dort?«
In einem fast unmerklichen Lufthauch zitterte ein winziges Fädchen und reflektierte das Licht. »Blau«, sagte Hugh, indem er sich niederbeugte. Sein Atem ließ den wie in einem Spinnennetz gefangenen Faden tanzen. »Blau ist eine schwierig herzustellende und teure Farbe. Und diesen Farbton gibt es im Mundtuch nicht.«
»Wir wollen es herausholen«, sagte Cadfael und zückte seine kleine Pinzette, mit der er gewöhnlich Dornen und Splitter aus Bauernhänden zog. Er versuchte, das fast unsichtbare Fädchen zu packen. Doch als er es hatte, hing noch mehr daran, zwei oder drei andere Fädchen, die wie lebendig vibrierten.
»Haltet den Atem an«, sagte Cadfael, »bis ich den Faden sicher unter einem Deckel habe, wo er nicht mehr fortgeweht werden kann.« Er hatte einen der Behälter mitgebracht, in denen er seine Tabletten und Pillen aufbewahrte, nachdem sie in Formen gegossen und getrocknet worden waren. Es war ein kleines, fast schwarzes Holzkästchen, und vor der glänzenden dunklen Oberfläche strahlte das Wollfädchen in hellem, sattem Blau. Er schloß vorsichtig den Deckel und forschte abermals mit der Pinzette. Hugh drehte die Lampe, um das Licht aus einem neuen Winkel einfallen zu lassen, und nun war ein roter Glanz zu sehen, das weiche, blasse Rot von verblühten Spätsommerrosen. Es blinkte auf und verschwand wieder.
Hugh bewegte die Lampe, um es wiederzufinden. Nur zwei winzige, geringelte Fädchen von den vielen, aus denen jenes Stück Tuch gewebt worden war; aber Wolle nimmt gut die Farbe an.
»Blau und Altrosa. Beides wertvolle Farben, viel zu kostbar für einen Bettbezug.« Cadfael fing das flüchtige Ding nach zwei oder drei Versuchen ein und sperrte es zu dem anderen. Das vorsichtig bewegte Licht erbrachte in den geweiteten Nasenlöchern keine weiteren derartigen Spuren.
»Nun, er hat auch einen Bart. Wir wollen sehen.«
Im ergrauten Bart hing ein etwas größerer Faden des blauen Stoffs. Cadfael zog ihn heraus und kämmte vorsichtig die
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