Lösegeld Für Einen Toten
grauen Strähnen durch, um weitere Fäden zu finden. Als er den Staub und die Haare aus dem Kamm in seine Kiste schüttelte und strich, glommen zwei oder drei Lichtpunkte auf und verblaßten wieder wie Staubflocken in einem Streifen Sonnenlicht. Er kippte die Kiste hin und her, um sie wiederzufinden, und wurde mit dem Anblick eines goldenen Funkens belohnt. Zwischen den zusammengebissenen Zähnen fand er dann mehr von dem, was er suchte. Ein Faden war durch Alter oder häufigen Gebrauch wohl ausgefranst gewesen, und der Tote hatte ihn im Todeskampf mit den Zähnen gepackt und festgehalten. Cadfael zog ihn heraus und hielt ihn mit der Pinzette ins Licht. Ein spröder, heller Goldfaden, halb so lang wie ein Finger, glitzerte im Lampenlicht; von ihm waren die jetzt unsichtbaren funkelnden Teilchen abgefallen.
»Wirklich sehr kostbar«, sagte Cadfael, während er ihn vorsichtig in seine Schachtel gab. »Ein Tod, der einem Prinzen gebührt, unter einem Tuch aus feiner Wolle, das mit Goldfäden durchwirkt ist, erstickt zu werden. Ein Wandbehang? Ein Altartuch? Das Brokatkleid einer Dame? Gewiß nichts aus der Krankenstation, Hugh. Was auch immer es war, ein Mann brachte es von draußen herein.«
»So scheint es allerdings«, stimmte Hugh gedankenverloren zu.
Sie fanden nichts weiter, aber was sie gefunden hatten, war verwirrend genug.
»Wo ist nun das Tuch, das ihn erstickte?« grübelte Cadfael erbost. »Und wo ist die Goldnadel, die Einon ab Ithels Mantel hielt?«
»Sucht nach dem Tuch«, sagte Hugh, »denn es scheint so kostbar, daß es hier in der Abtei auffallen müßte. Und ich will nach der Nadel suchen. Ich habe noch sechs Waliser von der Eskorte und Eliud zu befragen; wenn dabei nichts herauskommt, werden wir nach Kräften die ganze Enklave absuchen. Ist die Nadel hier, dann werden wir sie finden.«
So suchten sie, Cadfael nach dem Tuch, nach irgendeinem Tuch mit kräftigen Farben und eingewirkten Goldfäden, und Hugh nach der Goldnadel. Mit Erlaubnis des Abtes und unterstützt von Prior Robert, der am besten über die Reichtümer des Klosters Bescheid wußte, die er stolz vorführte, untersuchte Cadfael jeden Wandteppich, jedes Stück Tuch und jede Altardecke, welche die Abtei besaß, doch nichts wollte zu den Fragmenten passen, die er zum Vergleich mitgebracht hatte. Farbschattierungen sind exakt und beständig. Dieses Altrosa und dieses Blau fanden hier nicht ihresgleichen.
Während Hugh die Kleidung und die Ausrüstung der Waliser gründlich durchsuchte, genehmigte Prior Robert, wenn auch mit deutlicher Mißbilligung, die Ausweitung der Suche auf die Zellen der Brüder und Novizen, und sogar die Besitztümer der Schüler wurden einbezogen, denn auch Kinder können durch ein glänzendes Ding in Versuchung kommen, ohne sich der Tragweite ihres Tuns bewußt zu sein. Doch nirgends fanden sie eine Spur der alten, schweren Goldnadel, mit welcher Einons Mantelkragen gehalten worden war, um Gilbert Prestcote auf seiner Heimreise vor der Kälte zu schützen.
Der Tag war fast vorbei und der Abend rückte näher, doch nach Vesper und Abendbrot machte Cadfael sich wieder auf die Suche. Die Insassen der Krankenstation waren mehr als bereit zu sprechen; sie hatten nur selten ein so ergiebiges Gesprächsthema. Doch weder Cadfael noch Edmund bekam viel aus ihnen heraus. Was auch immer geschehen war, hatte sich während der halben Stunde ereignet, als die Brüder beim Mittagsmahl im Refektorium saßen, und um diese Zeit hatten die Bewohner der Krankenstation bereits gespeist und schliefen wie gewöhnlich tief. Doch es gab einen, der, da er ans Bett gefesselt war, zu ganz anderen Zeiten schlief und so durchaus fähig war, sich wach zu halten, wenn etwas ungewöhnlich Interessantes vor sich ging.
»Was das Sehen angeht«, sagte Bruder Rhys wehmütig, »so kann ich Euch ebensowenig von Nutzen sein, Bruder, wie mir selbst. Ich bemerke es, wenn ein anderer Insasse an mir vorbeigeht, und ich kann Licht und Dunkelheit unterscheiden, aber nur wenig mehr. Meine Ohren jedoch, das könnt Ihr mir glauben, sind schärfer geworden, während meine Augen schwächer wurden. Und nun, da Ihr mich bittet, in meiner Erinnerung zu forschen... Ich hörte, wie die Tür der Kammer gegenüber, wo der Sheriff lag, zweimal geöffnet wurde. Ihr wißt ja, wie sie quietscht, wenn man sie aufmacht. Beim Schließen gibt sie kein Geräusch von sich.«
»Also ist jemand hineingegangen oder hat wenigstens die Tür geöffnet. Was habt Ihr sonst gehört?
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