Löwenherz. Im Auftrag des Königs
Saids Vater zu befreien!«, rief er.
»Ich habe mein Wort gegeben«, sagte Wilfrid dumpf.
»Es sind Eure Kinder!«, sagte Johnny und vergaß in seiner Fassungslosigkeit jegliche ehrerbietige Anrede.
»Johnny, das Wort eines Mannes muss immer gleich viel wert sein, egal, in welcher Lage er sich befindet.«
Johnny sah jetzt rot, obwohl er spürte, wie zerrissen Lord Wilfried in seinem Innern war. »Lage?«, schrie er. »Welche Lage? Da draußen sind Eure Kinder, jeden Augenblick kann Krieg ausbrechen, und sie sind dann mittendrin! Und Ihr sprecht vom ›Wort eines Mannes‹ und diesem ganzen gestelzten Kram!« Er spuckte die Worte nur so aus.
Lord Wilfrids Augen verengten sich. »Das Wort eines Ritters ist kein … Kram!! «
»Das Wort eines Vaters, der seine Kinder im Stich lässt, ist sehr wohl … KRAM ! «
Wilfrid sprang auf. Johnny wich zurück, aber der Gedanke an Edith und Robert, die für den Vater ihr eigenes Leben aufs Spiel setzten und nun wegen eines Ehrenworts von eben diesem Vater im Stich gelassen wurden, war stärker als der Respekt vor Wilfrid. Wäre er dem Lord unter anderen Umständen zu Hause in England begegnet, hätte er den Kopf respektvoll gesenkt und später stolz seinen Freunden erzählt, dass er den Lord von Kyme gesehen hätte. Doch nun schob er trotzig sein Kinn vor und sprang ebenfalls auf.
»Glaub mir, es zerreißt mir das Herz!«, zischte Wilfrid.
»Offensichtlich nicht ganz!«, gab Johnny erbost zurück.
Wilfrid nahm einen tiefen Atemzug. Johnny erwartete schon eine Strafe für seine Unverfrorenheit, aber Wilfrid seufzte nur und wandte sich ab. Für einen Moment hatte Johnny geglaubt, Tränen in seinen Augen zu sehen.
»Ich stehe zu meinem Wort«, hörte er Ediths Vater flüstern. »All die Monate da unten in dem Kerkerloch hatten Attayak Ali und ich nichts als das Wort, das wir einander gegeben hatten. Ich kann es nicht brechen. Oh Gott im Himmel, was verlangst du noch von mir?«
»Said kann doch die Arab führen«, wandte Johnny hilflos ein. Sein Zorn war so schnell verraucht, wie er gekommen war.
»Said kennt den geheimen Weg in die Burg nicht. Ich bin nicht einmal sicher, ob ich ihn finden werde.«
»Wie bitte?«, rief Johnny. »Gibt es etwa einen Geheimgang?«
23
D ie Zisterne ist der Schlüssel«, flüsterte Attayak Ali. Robert war erstaunt, dass noch niemand sie aufgefordert hatte, auf den Wehrgang zu steigen und ihren Platz unter den Verteidigern einzunehmen. Aber außer ihnen lagen oder saßen noch viele andere tatenlos herum. Es würde noch eine Weile dauern, bis die Kampfhandlungen einsetzten. Die Schmährufe waren erst das Vorgeplänkel.
»Als die Franken zum zweiten Mal ins Heilige Land kamen – das war vor über vierzig Jahren, ich war damals ein Junge in Eurem Alter – reiste auch die Frau von einem der Könige mit. Sie hieß …«, der Alte hatte sichtliche Schwierigkeiten mit den ungewohnten Lauten, »… Enora.«
Robert überlegte. »Aliénor? Die frühere Königin von Frankreich? Die jetzige Königin von England?«
»Sie muss außergewöhnlich sein.« Attayak Ali dachte nach. »Oder sagen wir: Kein Mann meines Volkes würde sie mit einem langen Stock anfassen. Wilfrid erzählte mir, dass sie sich mit dem damaligen König von Jerusalem anfreundete – Fulko von Anjou. Fulko hatte einen seiner Vasallen beauftragt, diese Burg hier zu bauen, um die fränkischen Grafschaften, die das Königreich der Himmel wie ein Schutzgürtel umgeben, zu stärken. Aliénor sah die Pläne und regte den Bau eines Geheimgangs an. Später dann, als der König von Frankreich sie verstoßen hatte und sie Königin Eures Landes wurde, erzählte sie ihrem zweiten Mann, König Henri, von diesem Geheimgang. Und Euer König informierte Euren Vater darüber, bevor er ihn auf eine Mission hierhersandte. Ihr müsst nicht so überrascht dreinschauen, Robert de Kyme. Wilfrid und ich haben während unserer langen Gefangenschaft unsere Geheimnisse miteinander geteilt.«
»Und dieser Geheimgang …«
»… ist die Zisterne. Jeder glaubt, dass sie noch während des Baus ausgetrocknet ist. Dabei führte sie niemals Wasser. Sie ist nur Fassade, nichts weiter. Auch Humphrey kennt den Gang nicht. Wenn Ihr mit einer Fackel hinunterleuchten würdet, sähet ihr ganz weit unten den hölzernen Boden. Aber in Wahrheit ist dieser Boden die Decke des Geheimgangs, der dort beginnt und irgendwo zwischen den Felsen außerhalb der Burganlage sein Ende hat. In die Holzbohlen ist eine Falltür
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