Löwenherz. Im Auftrag des Königs
Wassereimer, schürten ein großes Feuer im Vorhof und legten Äxte, Lanzen und zugespitzte Holzstangen bereit. Jedes Mal wenn einer den andern aus Versehen anrempelte, wurde geflucht und geschimpft, denn bei allen lagen die Nerven blank. Attayak Ali gab eines der Haumesser, das er von einem Sergeanten erhielt, an Robert weiter. Dann nahm er ihn am Arm und führte ihn wortlos zu einer Zisterne. Ein Schindeldach darüber warf Schatten, hochwillkommen im Burghof, den die Mittagshitze in einen Glutofen verwandelt hatte. Unter dem Dach war eine Vorrichtung, mit der man einen Eimer in die Zisterne hinunterlassen konnte, aber die Kette baumelte leer von der Walze: Die Zisterne war offenbar ausgetrocknet. Robert sah ratlos zu, wie Attayak Ali es sich im Schatten bequem machte, den Rücken an den aufgemauerten Rand der Zisterne gelehnt. Seufzend rieb er sich ein Bein und machte eine einladende Handbewegung. Robert zögerte.
»Setzt Euch, Robert de Kyme«, sagte Attayak Ali mit einem schweren Akzent, aber klar verständlich. »Euer Vater hat mir eine gute Beschreibung von Euch gegeben. Ich möchte Euch von dem Tag erzählen, an dem wir voneinander Abschied nahmen.«
20
A ls Said die Klappe seines Zeltes öffnete und Johnny hineinbitten wollte, kam ein Reiter herangesprengt. Vor Said zügelte er seinen Gaul und rief keuchend: »Der mir ist zurück, Said. Wir sollen uns bereit machen. Sultan Saladin wird noch heute die Burg Kerak angreifen.«
Said musterte Johnny. »Ich wollte dich etwas ruhen lassen, aber das hat leider Vorrang. Der mir muss dich unbedingt sehen.«
»Wer ist der mir? «
»Der Mann, der mir deine Sprache beigebracht hat.«
»Ah – der Einzige, vor dem du das Knie beugst. Außer vor deinem sheik .«
»Richtig.« Said lächelte gelassen. »Folge mir!«
Das Zelt des Mannes, den Said so sehr verehrte, lag in der Mitte des Lagers. Johnny hatte Wachen davor erwartet, aber er sah sich getäuscht. Sie traten ohne große Umstände ein. Der mir konnte nicht lange vor ihnen angekommen sein, denn er klopfte sich gerade den Staub von den Kleidern. Als er sich umdrehte, sah Johnny, dass seine Tracht eine Mischung aus fränkischen und sarazenischen Bestandteilen war. Er trug eine Panzerkapuze und hatte den Kinnlatz vorgebunden. Den unteren Teil des Gesichts bedeckte eines jener schwarzen Tücher, die auch Said und seine Gefährten verwendeten, um sich vor Sand und Staub zu schützen.
»Ah, Said, mein Freund! Das Warten hat ein Ende«, begann der mir . »Heute …« Er stockte und musterte Johnny. Seine Brauen zogen sich zusammen und seine Hände, mit denen er Kinnlatz und Staubtuch hatte losnesteln wollen, erstarrten in der Bewegung. »Wer ist das? Hast du einen Pagen aus der Burg geschnappt? Hervorragend! Dir geschieht nichts, Junge, wenn du uns …«
»Er ist nicht aus der Burg, mir . Er ist mit zwei Gefährten unterwegs und kommt aus …«
»Ich kann selbst für mich sprechen, Said«, unterbrach Johnny.
»Dann sprich, Junge!«, befahl der mir .
Johnny erwiderte den prüfenden Blick aus den bernsteinfarbenen Augen des Mannes. Was er seit einiger Zeit vermutet hatte, verdichtete sich mit diesem Blickwechsel zur Gewissheit. Er kannte diese Augen. Der mir hatte sie Edith vererbt. Johnny ließ sich auf ein Knie sinken.
»Seid gegrüßt, Mylord Wilfrid«, sagte er heiser. Der mir hielt überrascht inne. Seine Hände sanken herab, Kinnlatz und Staubtuch blieben, wo sie waren.
»Ich bin Johnny Greenleaf aus Barnsdale, und ich bin mit Eurer Tochter Edith und Eurem Sohn Robert im Auftrag von König Richard hierhergereist, um Euch zu … äh … befreien?«
Es folgten einige Augenblicke der Verwirrung, dann nahmen Johnny, Said und Wilfrid de Kyme auf kleinen, mit Kissen bedeckten Truhen Platz.
Johnny betrachtete verstohlen den Vater seiner Freunde. Lord Wilfrids Gesicht war sonnenverbrannt. Das schickte sich eigentlich nicht für einen Adligen, gab seinen Zügen aber etwas Verwegenes. So wird Robert in zehn Jahren aussehen , dachte Johnny.
Wilfrid de Kyme wollte kaum glauben, dass seine Kinder sich auf eine derart gefährliche Rettungsmission begeben hatten. Johnny fragte sich, wie er es wohl aufnehmen würde, dass er auf seinem Stammsitz in England nun nicht mehr willkommen war. Doch er beschloss, dass dies eine Familiensache war. Und deshalb sollte der Vater die schlechte Botschaft auch besser von seinen eigenen Kindern hören. Nachdem Johnny seinen Bericht von der Reise beendet hatte, bat er: »Lord
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