Löwenherz. Im Auftrag des Königs
Wilfrid – wir müssen so schnell wie möglich dorthin zurück, wo ich Edith und Robert zuletzt gesehen habe. Sie sind ganz allein da draußen.«
Wilfrid warf Said einen fragenden Blick zu. »Im alten Flussbett«, sagte al-Arab . »Eine halbe Stunde von hier entfernt – wenn wir schnell reiten.« Said seufzte. »Direkt hinter Saladins Lager.«
»Verdammt!«, fluchte Wilfrid und wurde unter seiner Bräune bleich.
Johnny sprang auf. »Worauf warten wir noch?«
»Sobald Saladin sein Lager zur Burg hin befestigt hat, wird er die Gegend erkunden lassen«, sagte Said leise. »Das Wadi wird er auf jeden Fall besetzen, um sich den Rücken freizuhalten.«
»Wenn er seine Leute dorthin schickt, werden sie Edith und Robert …« Wilfrid ballte die Fäuste. »Oh heiliger Andreas! Es konnte nicht schlimmer kommen!«
»Doch, mir «, sagte Said langsam.
»Ich weiß: wenn Saladin nicht nur die Kinder, sondern auch uns gefangen nimmt.«
»Wie ›uns gefangen nimmt‹?«, fragte Johnny, der plötzlich einen Verdacht hatte, in welche Richtung Lord Wilfrids Gedanken gingen. Er konnte den aufkeimenden Zorn in seiner Stimme kaum unterdrücken.
»Wenn wir losreiten, um Edith und Robert zu suchen!«, schnappte Wilfrid gereizt.
»Was heißt hier ›wenn‹, Mylord? Warum sind wir noch nicht unterwegs?«
Wilfrid starrte Johnny an, der sich bereits erhoben hatte, und Johnny sank wieder auf seine Truhe.
»Johnny Greenleaf aus Barnsdale«, sagte Wilfrid heiser. »Weißt du überhaupt, warum ich frei und noch am Leben bin?«
21
E uer Vater und ich«, raunte Attayak Ali, »waren hier gemeinsam Gefangene von Raynald de Chatillon. Die armen Teufel, die Humphrey dazu überredet hat, ihr eigenes Gefängnis zu verteidigen, gab es da noch nicht. Humphrey ist weicher als Raynald, sein Stiefvater hätte die Unseligen nach dem Überfall auf die Karawane sofort getötet. Wie auch immer, wir haben uns angefreundet. Wilfrid«, Attayak Ali hatte Schwierigkeiten mit dem Namen, er sprach ihn wie »Ifrit« aus. »Wilfrid und ich hatten im Kerker nichts zu tun, außer uns darüber Sorgen zu machen, wann der Burgherr uns töten lassen würde. Wir haben uns gegenseitig unsere Muttersprachen beigebracht. Deshalb kann ich mit Euch reden. Das Erste, was mir Euer Vater in meiner Sprache beschrieben hat, wart Ihr und Eure Schwester Edith.«
Attayak Ali lächelte, als Robert sich räusperte.
»Später erzählte uns einer der Wächter, dass ein Dorf in der Nähe niedergebrannt worden sei, weil sich dort etliche Leute mit dem Aussatz angesteckt hatten. Das brachte uns auf eine Idee, wie einer von uns hier herauskommen und den anderen retten könnte.«
»Ihr habt den Wächter als Geisel genommen!«
Attayak Ali lächelte noch breiter und schüttelte den Kopf. »Am Morgen danach rief ich die Wachen und stellte mich so panisch, dass sie gleich zu mehreren kamen. Ich erzählte ihnen, Euer Vater habe sich in der Nacht selbst getötet, weil er festgestellt hätte, dass er von Aussatz befallen sei. Die Wächter waren so verängstigt, dass sie ihn nicht einmal genau in Augenschein nahmen. Humphrey war irgendwo unterwegs, also holten sie den Burgverwalter, und der verfügte, dass der Leichnam Eures Vaters über die Burgmauer geworfen, mit Öl übergossen und angezündet werden sollte. Ich bat im Namen des einzigen und allmächtigen Gottes, ihn stattdessen außerhalb der Burg begraben zu dürfen, denn er sei mir in den Monaten der Gefangenschaft wie ein Bruder geworden. Der Burgverwalter ließ es zu; ich glaube, ihm war alles recht, Hauptsache, die Leiche eines Aussätzigen wurde so schnell wie möglich aus der Burg geschafft.
Ich trug Wilfrid auf dem Rücken hinaus. Die Wachen folgten mir in gehörigem Abstand und sahen von Weitem zu, wie ich ein flaches Grab scharrte, Wilfrid hineinlegte, Steine darüber aufschichtete – und dabei aufpasste, genug Zwischenraum zu lassen, dass er noch atmen konnte. Wir wussten, dass wir Geduld brauchten. Sie ließen mich zunächst nicht in die Burg zurückkehren, weil sie fürchteten, dass ich mich angesteckt haben könnte. Eine ganze Nacht blieb ich bei klirrender Kälte am Grab sitzen, nackt bis auf einen Lendenschurz. Die ganze Zeit über wurde ich von Soldaten bewacht, die mit Armbrüsten auf mich zielten, denn sie wollten mir ja nicht zu nahe kommen. Danach verbrachte ich noch einen ganzen Tag in der sengenden Sonne. Die ganze Zeit über waren meine Gedanken bei Eurem Vater. Hatte er es geschafft, aus dem Grab zu
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