Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Loewenmutter

Loewenmutter

Titel: Loewenmutter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Esma Abdelhamid
Vom Netzwerk:
konnte sich sehen lassen, das bekam nicht jede Frau zur standesamtlichen Trauung. Sogar ich aß ordentlich viel und prostete Abdullah schüchtern mit dem Teeglas zu. Als später die Frauen ihre Trommeln holten, tanzte ich mir die Seele aus dem Leib. Ich wollte mich freuen. Wenn ich gewusst hätte, dass es der Anfang einer langen Leidenszeit werden würde, hätte ich noch mehr getanzt.
    Das Fest dauerte bis zum frühen Abend, ich war die ganze Zeit in der Frauenecke geblieben, Abdullah mit den Männern in der anderen. Normalerweise feiern Männer und Frauen in getrennten Häusern, da der Bräutigam aber kein Haus in der Stadt besaß, war das große Haus meiner Familie ein Kompromiss.
    Als gegen Abend die Schüsseln geleert waren, verabschiedete sich Abdullahs Familie, er wollte sie nach Hause bringen. Da fasste ich mir ein Herz, stellte mich neben ihn und hörte mich fragen: »Kommst du noch einmal vorbei, bevor du nach Deutschland fährst?« – »Warum? Das habe ich nicht geplant.« – »Willst du mich nicht mehr sehen?« – »Doch!«, sagte er, aber das klang so gereizt, dass er genauso gut nein hätte sagen können. Ich spürte, dass ich nicht weiterfragen durfte.
    Er hatte, was er wollte. Den Ehevertrag, auf mehr hatte er kein Recht. Ganz in Abdullahs Besitz würde ich erst nach der offiziellen Hochzeit übergehen. Bis dahin bleibt die Braut im Haus ihres Vaters. Der Bräutigam erledigt alle Formalitäten, besorgt Kleider und Schmuck, hat aber nicht das Recht, seine Angetraute anzurühren. »Ich werde dir aus Deutschland schreiben«, sagte er. Ob er wusste, dass ich ihm nicht antworten würde, weil ich kaum Lesen und Schreiben gelernt hatte?
    Am Tag vor seiner Abreise nach Deutschland kam er doch noch einmal völlig unerwartet bei uns vorbei. Es war ruhig im Haus, so ruhig, dass die Straßengeräusche und die quäkende Musik aus den Radios der Obstverkäufer hereindrangen. Den Regen vom Vormittag konnte man noch riechen, es war der erste nach dem heißen Sommer. Ich öffnete Abdullah die Tür. Dieses Mal kam er nicht in Anzug und Krawatte, sondern in beigebraunen Gabardinehosen und einer grauen Trainingsjacke. Ich freute mich sogar, sagte keck: »Hallo, Bräutigam, bist du extra wegen mir gekommen?« Er lächelte, sagte ja, ging aber an mir vorbei: »Kann ich deinen Vater sprechen?« Er beachtete mich nicht weiter, sondern bat meinen Vater um Erlaubnis, mich zu einem Freund am anderen Ende der Stadt mitzunehmen. »Ich werde einen Kollegen besuchen, der mit mir in Deutschland arbeitet und jetzt in Tunesien ist.« Kein Ton zu mir, ob ich mitfahren möchte, nur an den Vater. – »Du weißt, dass sie dir erst richtig gehört, wenn ihr vor Allah geheiratet habt«, antwortete der. – »Ja, ich bin so stolz auf deine schöne Tochter.« – »Ich werde sie dir mitgeben unter der Bedingung, dass die jüngere Schwester mitfährt und aufpasst.«
    Wir Mädchen wurden nicht gefragt, aber wir hatten auch nichts gegen einen Ausflug. Ich rannte hoch in meine Kammer und zog ein luftiges Sommerkleid an. Ich pfiff sogar vor mich hin. Dann fischte ich einen kleinen Handspiegel unter meinem Bett hervor, ich hatte ihn dort zusammen mit anderen Schätzen verwahrt. Und zum ersten Mal in meinem Leben umrahmte ich meine Augen mit einem dunklen Kajal. Ich wollte Abdullah schöne Augen machen und seinem Freund auch. Denn wenn mein Bräutigam erst mit mir angeben könnte, dann würde er mich vielleicht ein wenig freundlicher behandeln und ein paar Takte mit mir reden, schoss es mir durch den Kopf, als ich mich im Spiegel betrachtete.
    Woher diese plötzliche Eingebung? Ich zuckte vor meinem Bild zurück, wie kam ich auf diese verrückte Idee? »Pass auf, sie kommt gleich raus«, hatte meine Großmutter immer gesagt, wenn ich mich als Kind im Spiegel betrachtet hatte. Das war eine Drohung. Meine Schwester grinste verschwörerisch, als ich endlich aus dem Haus kam. Sie stieg nach hinten ins Auto, ich hüpfte auf den Beifahrersitz. Abdullah, der noch mit dem Vater sprach, warf mir einen schrägen Blick zu, den ich nicht deuten konnte.
    Er verabschiedete sich umständlich, dann startete er das Auto, fuhr los, und es war wie die Tage vorher. Er schwieg, es gab nichts zu besprechen. Ich schaute ihn von der Seite an. Permanent, penetrant, ich ließ keinen Blick von ihm, er starrte geradeaus. Plötzlich wurde mir übel. Ich biss mir auf die Lippen und legte mir die Hände beruhigend auf den Bauch. »Wann wirst du mich nach Deutschland holen?«,

Weitere Kostenlose Bücher