Loewenmutter
dem Tisch aus. Im Kassettenrecorder lief Musik, Folklore. Es roch nach Minze, womit den Gästen Tee aufgebrüht worden war. Durch das Fenster, das bis zum Boden reichte, sah ich, wie sich giftig-rosa Streifen des Morgenrots über den Himmel zogen. Fast alle waren versammelt, Zeugen, Geschwister, Onkel und Tanten, auch ein paar Frauen aus der Nachbarschaft. Keine Freunde. Freundinnen hatte ich keine, woher auch. Nachdem ich die Schule abgebrochen hatte, war ich kaum mehr aus dem Haus gekommen. Familie und Verwandtschaft, das war wichtig. Ohne Familie zu sein wäre in Tunesien so ziemlich das Schlimmste, was einem passieren kann. Für Freundinnen ist kein Platz.
Der Vater befahl mich mit einer forschen Handbewegung an den Tisch. Der Bräutigam und die Trauzeugen, zwei seiner Geschwister, schauten mir entgegen. Mund zu, schlucken und lächeln, dachte ich, so hatte ich es gelernt. Wer nicht gehorcht, wird verstoßen.
Abdullah trug seinen dunkelblauen Anzug wie vor ein paar Tagen schon, als ich ihn das erste Mal gesehen hatte. Er überzog mich mit einem abschätzenden Blick. Was wohl in seinem Kopf vorging? Seine hellen Augen waren wässerig und unergründlich. Wenn er wenigstens nett zu mir wäre. Und wieder ratterte die Maschinerie meiner stummen Selbstbefragung los. Ist er mein Märchenprinz? Begehrt er mich? Bin ich die Frau, die er auf Händen tragen und mit der er glücklich werden will? Sein Blick blieb kalt.
Der Notar, ein beleibter Herr mit Oberlippenbärtchen, drängte. Jemand musste den Kassettenrecorder ausmachen, er wollte keine Zeit verlieren. Ich kannte die Zeremonie von meinen zwei großen Schwestern. Ohne lange Einleitung begann der Mann die üblichen Fragen zu stellen: Ob Abdullah seine zukünftige Frau gut behandeln werde und welche Morgengabe er zu zahlen gedenke? Das gute Behandeln muss er vor Allah beschwören, die Morgengabe besteht beim zivilen Trauungsakt aus ein paar symbolischen Dinaren. Natürlich schwor Abdullah bei Allah, er gab auch die Dinare. Beiläufig, so als ob er seine Zigaretten am Kiosk bezahlen würde. Dann fragte der Notar mich, ob ich meinen zukünftigen Mann schon kenne. Ich hätte gerne nein gesagt, stattdessen nickte ich jedoch gehorsam. Noch immer blickte ich auf Abdullah, doch er hatte sich zur Seite gedreht.
Es wurden die Zeugen gefragt, ob sie mit der Ehe einverstanden seien, auch sie bejahten. Nach einer kurzen Pause schlug der Notar ein zerschlissenes Heft auf, das er vor sich liegen hatte, und begann seinen Text herunterzuleiern: » … In Gottes Namen werden wir heute die beiden hier Anwesenden mit Erlaubnis des Vaters und unter Zeugen einander zu Mann und Frau geben.« Er las die Sätze laut vor, alle nickten, alle waren einverstanden, alle glücklich, alle unterschrieben, und das war es dann.
Die Musik wurde wieder bis zum Anschlag aufgedreht. Die Männer klopften sich auf die Schultern, und die Frauen stießen ihren Triller aus: Jujujuju. Dann umarmten und küssten sie den Bräutigam und beglückwünschten ihn: »Deine Frau soll dir Glück bringen.« Der Handel war getätigt. Ich wurde weder geküsst noch beglückwünscht. Unauffällig schlich ich mich in die Ecke des Wohnzimmers, in der die Frauen sich versammelt hatten, und hatte das Gefühl, mit der ganzen Sache wenig zu tun zu haben. Sie schnatterten und erzählten von ihren eigenen Hochzeiten, keine richtete ein Wort an mich.
Sogar an einen Fotografen hatte mein Vater gedacht und einen Mann mit Fotoapparat bestellt. Kaum hatte ich mich zurückgezogen, fing der Vater an zu dirigieren, wer sich wo hinzustellen und was zu tun habe. Das frisch vermählte Paar sollte in den beiden vorbereiteten Sesseln Platz nehmen: Ich in Weiß und Abdullah in Blau, er lässig, die Beine übereinandergeschlagen, ich kerzengerade, Blick nach innen. So nah waren wir uns die ganze Woche über noch nicht gekommen. Die Männer und Frauen standen im Halbkreis um uns herum. »Freundlich lächeln«, ging es mir durch den Kopf, »ich muss das Beste draus machen und mich heute an der Abwechslung freuen.« Da wurde auch schon geknipst, ich zog meine Mundwinkel nach oben, die Kinder bekamen Bonbons, und die Frauen riefen wieder ihr schrilles Juju.
Wie die Geier fielen die Familienmitglieder und Nachbarn nun über das Essen her, das meine Mutter und ein paar Nachbarinnen aus der Küche anbrachten. Man verschlang Berge von Marka, Couscous, Fleisch, Gemüse, Salaten und Kuchen. Drei Schafe wurden aufgetischt: Der edle Spender und Bräutigam
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