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Loewenmutter

Loewenmutter

Titel: Loewenmutter
Autoren: Esma Abdelhamid
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»Zum Fertigmachen«, sagt er. Als ich ihn reden höre, wende ich mich den beiden zu. »Netter Chef«, denke ich. Er wirft mir einen Blick zu, im Gehen, dreht sich noch einmal um und zeigt auf mich. Im kurzen Sommerkleidchen, mit großen, dunklen Augen, ein wenig kokett vielleicht. Hübsches Mädchen, aber sehr naiv mit meinen dunklen Zöpfen und den abgekauten Fingernägeln. »Wer ist sie?«, fragt er. Fatma und ich sehen uns nicht ähnlich. »Meine kleine Schwester.« – »Und was tut sie hier?« – »Mich von der Arbeit abholen.« Mahmoud zupft mit einer Hand an seiner Krawatte, etwas muss seine Aufmerksamkeit erregt haben. Er zaudert, lässt die Türklinke los, die er schon in der Hand hatte, und macht einen Schritt auf mich zu.
    »Suchst du einen Job?«, fragt er unvermittelt. Einfach so, aus heiterem Himmel. Er hat mich noch nie vorher gesehen, noch kein Wort mit mir gewechselt. Er weiß nicht meinen Namen, nicht wo ich wohne, nicht welche Schule ich besucht oder welche Ausbildung ich habe, nichts.
    Ich lache. Gurrend, und wenn ich lache, dann werden mein schmales Gesicht und die Augen kindlich rund. Ich lache aus Hilflosigkeit, weil mir seine Frage so absurd vorkommt. Was will dieser Mensch, der mich vor drei Minuten zum ersten Mal im Leben gesehen hat, von mir? Was soll ich für einen Job machen? Ich bin nicht wie meine Schwester, die sich zu Hause durchgesetzt und eine Ausbildung zur Sozialarbeiterin gemacht hat.
    Ich habe nichts gelernt, sondern die Schule abgebrochen. Weil ich ja sowieso heiraten würde, weiter dachte ich nicht. Ich habe keine Ausbildung. Es sei denn, kleine Geschwister wickeln, Putzen und das Essen auf den Tisch stellen sei eine Ausbildung. Meine jüngeren Geschwister freuten sich über ihre große Zuhause-Schwester. Aber welche Arbeit kann ich wohl auf dem Sozialamt machen?

    Wir waren dreizehn Geschwister, vier davon sind als Kleinkinder gestorben. Vier Mädchen und fünf Brüder blieben übrig, ich irgendwo in der Mitte. Wenn wir Mädchen selbständig zur Schule gingen, wurde das akzeptiert, aber keiner guckte danach, ob wir morgens aufstanden, uns anzogen, frühstückten, vielleicht sogar ein Brot für die Pause einsteckten. Wenn wir gingen, gut, wenn nicht, auch.
    Mit Zahlen und Buchstaben tat ich mich schwer. Vielleicht hatte ich Angst davor, vielleicht war ich zu verträumt, vielleicht auch nur zu aufgeregt, auf jeden Fall blieb nur wenig davon hängen. Wenn ich von den Lehrern in die hinterste Bank gesetzt wurde oder der Vater den Gartenschlauch holte, um mich durchzutrimmen, weil ich schlechte Noten nach Hause gebracht hatte, hasste ich die Schule. Es war schlimm, aber das Schlimmste daran war, dass es eigentlich keinen interessierte, was und ob ich etwas lernte. Auch mich selbst nicht, irgendwann bin ich morgens nicht mehr aufgestanden und nicht mehr zur Schule gegangen.
    Die Großmutter, die mit im Haus wohnte, war sowieso immer gegen Schule gewesen. »Für Mädchen«, pflegte sie zu sagen, »die reine Geldverschwendung. Eine Frau geht durch die Haustür nur zu ihrem Mann oder ins Grab.« Die Frau gehört ins Haus, nirgendwohin sonst, so hatte sie selbst gelebt, so lebte ihre Tochter, und so sollten auch ihre Enkeltöchter leben. Mädchen müssen früh begreifen, dass sie nichts sind. Sie lernen Putzen statt Lesen und Schreiben, kochen Tee und servieren ihn den Männern, die Karten spielen. Ihre Aufgabe ist es, einen Mann zu heiraten und ihn zufriedenzustellen. Der Mann will Söhne, die gebiert sie ihm und versorgt alle.
    »Na ja, eine Arbeit wäre nicht schlecht«, druckse ich nun herum und komme mir dabei sonderbar vor, »aber nicht unbedingt für eine wie mich. Ich habe die Schule abgebrochen, bin einfach nur zu Hause.« Mahmoud schaut mich nicht an, wahrscheinlich hat er selten so eine dumme Antwort bekommen, ich muss es erklären: »Aber bitte«, sage ich, »ein Job würde mir schon gefallen. Wenn Sie etwas für mich haben, gerne.«
    Da schlendert der Sozialbeamte die paar Schritte bis zum Fenster und stellt sich direkt neben mich. Mit beiden Händen greift er nach der Kurbel der Jalousie und beginnt sie hochzudrehen. Es klingt blechern, wenn die Lamellen, die auf Fäden aufgezogen sind, aneinanderstoßen. Darauf achtet Mahmoud aber nicht, sondern richtet seinen Blick direkt auf mich. »Jahaaaaaa?«, sagt er langsam und breitet sein eigenartiges Ja wie ein Netz über mir aus. Gleichzeitig mustert er mich von oben bis unten, nicht unangenehm, eher großspurig. »Das
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