Loewenmutter
ich meinen Schwager triumphierend sagen. »Sie wollen nicht mit dir gehen, Schwägerin.« – »Aber ich bin ihre Mutter«, rufe ich verzweifelt und schluchze.
Mit diesen Worten stoße ich das Hoftor auf und laufe auf die Kinder zu, die sich immer noch scheu hinter der Tante verstecken. »Ich bin’s, Mama«, rufe ich noch einmal und gehe vor ihnen in die Knie. »Kennt ihr mich nicht mehr? Amal, Jasin, Amin, ich bin gekommen, um euch zu holen, wie ich euch versprochen habe. Ist schon eine Weile her, aber jetzt bin ich da. Wollt ihr nicht mit mir und dem Großvater kommen?« Ich greife nach Amals Arm, den sie sofort wegzieht, ich packe Jasin: »Ich hab euch nicht vergessen«, presse ich hervor. »Jeden Tag hab ich an euch gedacht. Leider durfte ich nicht früher kommen. Jeden Tag, über zwei Jahre lang.« Mit einem Ruck macht sich auch Jasin frei.
Die Kinder wollen nicht, sie haben Angst vor mir. Das macht mich fassungslos. Ich kann es nicht glauben: War denn alles umsonst? Mein Leben, die Anstrengung der letzten Jahre – umsonst? »Ihr kommt jetzt sofort mit«, schreie ich außer mir vor Enttäuschung. Da weichen die Kinder noch weiter zurück. Ich bin schockiert, damit hätte ich nie gerechnet, doch auf einmal sehe ich es glasklar vor mir: Wenn ich sie jetzt nicht ganz verlieren will, muss ich mich zurückhalten und darf sie nicht weiter bedrängen.
Es kostet mich all meine Kraft, aber müde stehe ich auf, strecke mich und gehe mechanisch wie eine Puppe zurück, zum Tor hinaus und zum Auto, das wir auf der Straße geparkt haben. Ich öffne die Tür, lasse mich auf den Rücksitz fallen und weine hemmungslos. Die Kinder brauchen Zeit. Von weitem dringen die Stimmen zu mir. Ich höre meinen Vater mit dem Schwager diskutieren. Ewigkeiten, scheint es mir. Bis er plötzlich laut und deutlich wird. »Schluss jetzt mit dem Theater«, sagt er. »Es reicht. Die Kinder kommen mit uns. Basta! Amal, Amin, Jasin, bitte kommt – ihr werdet es gut bei eurer Mutter haben. Sie hat nicht umsonst so lange für euch gekämpft.«
Ich richte mich nicht auf, aber ich ahne, dass sich die Kinder nun langsam in Bewegung setzen. Weil sie sich nicht trauen, dem Großvater zu widersprechen. Sie halten sich alle drei an den Händen fest, staksen zögernd auf das Auto zu, lauern, ob sie noch von einem anderen Befehl eingeholt werden. »Lass uns endlich gehen, weg von hier«, sagt mein Vater nur ein paar Sekunden später und sitzt schon am Steuer. Da spüre ich, wie die Kinder links und rechts zu mir nach hinten einsteigen. Ich lasse die Augen geschlossen, richte mich kerzengerade auf und lege meine Arme eng an meinen Körper, um sie nicht noch einmal zu erschrecken. »Schön, dass ihr kommt«, sage ich leise. Ohne mich anzusehen, drückten sie sich an mich. Amin links, Jasin rechts, Amal halb auf meinem Schoß, halb auf dem ihres Bruders.
Der Vater startet, im Auto ist es still. Wie früher, erinnere ich mich, wie ich mich früher mit den Kindern nach hinten ins Auto gequetscht habe. Aber jetzt sind sie nicht mehr weich und warm, ich spüre sie zittern. Durch unsere Kleider hindurch merke ich, wie sie sich fürchten und erschauern, obwohl es heiß ist. Wie ängstlich sie sind. Ich will sie in den Arm nehmen und darf es nicht. Noch nicht. Was mochten sie alles durchgemacht haben? Aus einer Plastiktüte hinten auf der Ablage ziehe ich zwei Jeans für Jasin und Amin heraus. »Könnt ihr die brauchen?«, frage ich bang. Da huscht ein unsicheres Lächeln über ihre Gesichter, Amal schaut weg. Für sie habe ich eine rote Cordjacke mit großen aufgesteppten Taschen und einer Kapuze eingepackt. Auch die hole ich nun heraus und lege sie ihr auf die Knie. Sofort vergräbt mein Mädchen seinen Lockenkopf darin.
Schweigend fuhren wir die Straße zurück zur Stadt am Meer. Direkt zum Hafen mit kreischenden Möwen und dröhnenden Schiffshörnern, um mit den Kindern zu picknicken. Als der Vater das Auto parkte, hörten wir lautes phantastisches Trommeln. Zwei gebeugte Männer in dunklen Kutten bogen um die Ecke. Mit langen Stöcken schlugen sie auf straff gespannte Trommeln, ein dritter spielte auf einer Flöte. Gleich sammelte sich ein Touristenschwarm aus kurzberockten Mädchen und braungebrannten Männern um die mittelalterliche Szene. Auch Jasin, Amin und Amal, die bisher kein Wort gesprochen hatten, wurden neugierig und hüpften aus dem Auto.
Mit offenen Mündern bestaunten sie die Szene und waren nicht mehr wegzubekommen. Ich ließ sie stehen und
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