Loewenstern
gewesen, obwohl er in der kalten Fremde selbst ohne Schutz leben mußte. Rikords Hand war die einzige, die ihn hielt, und dabei geschah es, daß er an die Hand Nadeschdas rührte – und ihr Leben wurde zum Leben berührt. Lange hatte sie ihren Mund gegen meinen gehütet; jetzt brauchte sie ihre Zunge für sich selbst. Und mit jedem Tag, an dem ich ihr zuhörte, wortlos, schien ich ihr etwas vertrauter zu werden, und jeder, der mich ihr näherbrachte, entfernte mich weiter von ihrem Geschlecht. Lange verhüllte die größte Liebe ihr Gesicht. Denn sie fing mit Sterben an.
Bald nach dem Neujahrsfest in Petropawlowsk hatte Kahei zwei seiner Gefährten verloren. Es rächte sich, daß er von allen, die sein Los hatten teilen wollen, nur die Ältesten mitgenommen hatte; aber die Ausnahme, der junge Ainu, starb schon als zweiter. Als der Schiffszimmermann kam, um die Särge anzumessen, sagte er zu Rikord: ich mache gleich einen mehr. Wirklich starb auch der dritte Japanese bald danach. Jetzt blieben Kahei noch zwei. Er war verstummt. Er schüttelte nur den Kopf, als der Pope ins Haus kam, um die Früchte des Schmerzes für seinen allein seligmachenden Glauben zu ernten; darauf sagte der Gottesmann: dann begrabt einander doch selbst.
Rikord befahl Matrosen herbei, um ein gemeinsames Grab auszuheben, aber ihr Werkzeug schlug auf Fels, so streng war der Frost. Da ließ er an der Stelle, die Kahei bezeichnet hatte, ein Feuer machen, um den Grund zu erweichen: man blickte weit über Petropawlowsk hinaus. Ich habe ihnen den Tod gebracht, sagte Kahei, jetzt sollen sie wenigstens in die Richtung schauen, wo Japan liegt. Er hatte sich ein priesterliches Samtkäppchen geschneidert, zu seinem schwarzen Habit; für den Todesfall führte er auch einen weißen mit, denn schon in Kunashiri hatte er an alles gedacht.
Die Matrosen, welche drei Särge auf den Berg trugen, kämpften gegen starken Wind, in dem Kaheis Kleid wie ein schwarzes Segel flatterte. Er hatte die Grabhölzer mit eigener Hand beschriftet undschöne Totennamen ausgesucht – der Ainu hieß «blutender Kranich auf dem Schneezweig» –, hatte den Hinübergegangenen auch ihre Lieblingsbücher mitgegeben und reichlich Trinkgeld für den Fährmann in die andere Welt. Am offenen Grab murmelte er ein Sutra und rieb den Rosenkranz zwischen gefrorenen Fingern. Als die Särge geschlossen waren, besprengte er sie mit Reiswein, stellte das Krüglein vor die Namenstafel und verbeugte sich lange. Rikord legte ihm die Hand auf die Schulter:
Ten, taisho! Ten
war ihr gemeinsames Wort für Himmel und sollte für alles gelten, was über ihnen war. Aber Kahei wandte sich wortlos ab. Die zwei letzten Japanesen stützten ihn, damit er nicht ins offene Grab fiel, und konnten sich doch selbst kaum noch auf den Beinen halten.
Seit dem Brand von Moskau wurden auch in Petropawlowsk keine Gesellschaften mehr gegeben; Nadeschdas Gönner, der alte Gouverneur, war weg, und sie lebte allein in seinem leeren Haus, bis Rikord die Geschäfte übernahm, er wohnte immer noch mit seinen Japanesen in der «Admiralität». Im April fiel zwei Tage lang Schnee, und die Siedlung versank wieder in tiefem Winter, Rikord stapfte jeden Morgen ins Amtshaus und machte sich mit den Akten bekannt, die zu lange liegengeblieben waren; das Elend Kamtschatkas sollte ihn für ein paar Stunden vom Jammer seines Haushalts ablenken und vervielfachte ihn nur. Die beiden Japanesen aßen nichts mehr; Kahei saß den ganzen Tag gegen die Wand gedreht; Olinka kniete neben ihm und weinte. Die
Diana
lag gestrandet im Tiefschnee, der Tag, an dem sie wieder flott werden sollte, um Golownin entgegenzufahren, schien unvorstellbar weit entfernt. Rikord war sicher, daß ihm Kahei den Tod seiner Leute nicht verzieh. Schon bei seiner Gefangennahme waren die ersten ertrunken. Daß er nur sich selbst an ihrem Schicksal die Schuld gab, war die japanesische Art, den wahren Urheber zu beschämen. So wurde der Hebel, den Rikord zur Befreiung der Gefährten hatte ansetzen wollen, immer schwächer. Starb ihm auch Kahei weg, so blieben Golownin und die Seinen unwiederbringlich gefangen. Rußland war ausgeblutet, die Post zum Erliegen gekommen; von Ludmilla, seiner Braut, hatte Rikord seit Weihnachten nichts mehr gehört.Eigentlich hatten sie in Petersburg heiraten wollen; jetzt hatte sie sich womöglich schon auf die Reise durch Sibirien aufgemacht. Eine Sorge mehr. Warum sollte sie seine Verbannung mit ihm teilen?
Nadeschda, die Dame ohne
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