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Loewenstern

Loewenstern

Titel: Loewenstern Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Adolf Muschg
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wohl genug. Gleich kommt Tanja mit dem Essen vorbei. Haben Sie Appetit?
    Tanja? fragte ich. – Wer ist denn das?
    Erinnern Sie sich nicht mehr?
On est prêt à vous servir
, sagte sie. – Lassen Sie sich überraschen.
    Nadeschda, sagte ich. – Wir haben noch nie miteinander gegessen.
    Soweit sind wir noch lange nicht, Herr von Löwenstern, sagte sie.
    Morgen erzählen Sie weiter? fragte ich.
    Das sehen wir, sagte sie. – Ich möchte Sie nicht ermüden.
    Der gepolsterte runde Hocker blieb einsam zurück; ein Fremdkörper in meiner Klause. Die Delle, die Nadeschda hinterlassen hatte, war noch warm; ich hob den Hocker mitten auf den Schreibtisch und erklärte ihm mit einer Verbeugung, er sei hier jetzt der Schriftsteller, ein für allemal. Dann legte ich mich auf das Bärenfell – das
andere,
auf dem wir noch nie gelegen hatten, und betrachtete den schwarzen Samurai, bis mir die Augen zufielen.
    Im Traum hörte ich seinen Namen: Yoshi.
    2 Am nächsten Tag kam sie wieder, ihr Kostüm war fast unverändert, aber die Schärpe blau wie der Hyazinthenstrauß, der den Ginster ersetzte; dafür hatte sie eine weiße Amphore mitgebracht. Der Hocker stand wieder auf dem Fußboden.
    Alles ganz neu, sagte ich.
    Wie haben Sie Tanja gefunden? fragte sie. – Auch ganz neu?
    Ich brauche keine Tanja, sagte ich. – Ich bin in den Garten gegangen. Aber die neuen Kartoffeln mundeten vorzüglich. Noch neuer ist mir allerdings, daß man gleichzeitig Kartoffeln ernten und Hyazinthen pflücken kann.
    Die Gryllenburg kennt keine Jahreszeiten. Hier lebt man immer gleich warm und kalt.
    Das ist allerdings sehr auffallend, sagte ich. – Gemäßigt, wie in einem Glashaus. Eigentlich nicht mein Fall. Die Lauen wird der Herr ausspeien aus seinem Mund.
    Sind Sie der Bequemlichkeit müde, Herr von Löwenstern? fragte sie. –
Novarum rerum cupidus?
    Latein können Sie auch?
    Die Winter in Kamtschatka sind lang, sagte sie. – Rikord hat es mir beigebracht, es war seine Verbindung zu Golownin, als er sonst nichts für ihn tun konnte. Sie haben in der Kadettenanstalt lateinische Dichter gelesen, wenn der Dienst vorbei war.
    Ich erinnere mich, sagte ich. – Eine ausgefallene Liebhaberei.
    Rikord war immer auch ein wenig Schulmeister, und die Interessen von Seehunden und Seebären sind begrenzt. Da hab ich mich als Schülerin angeboten.
    Novarum rerum cupidus
, begierig auf Neues, sagte ich, damit war aber nicht der römische Naschmarkt gemeint. Es hieß
aufbegehren, Revolution machen
.
    Warum nicht, sagte sie leichthin. – Wer im Glashaus sitzt, darf auch einmal Steine werfen. Es gibt Scherben, aber vielleicht auch wieder Jahreszeiten. Menschen werden wieder heiß und kalt. Und der Herr muß sie nicht mehr ausspeien aus seinem Mund.
    Die Jahreszeiten Japans waren sogar im Hafen von Nagasaki zu spüren. Der Frühlingswind über der Bucht, die Pflaumenblüte aufder Ratteninsel – wir haben auch die Kirschblüte erlebt. Die Herbstfarben sind noch schöner. Als wir ankamen, brannte der Ahorn auf allen Höhen. Im November sei er am schönsten, sagte der Tolk, bei dem ich ein wenig Japanesisch lernte. Ich möchte wieder Sommer und Herbst, Nadeschda.
    Werden Sie reif für den Ausbruch? fragte sie.
    Erst muß ich Ihre Geschichte zu Ende hören, sie steht ja in keinem Buch. Ich sehe Kahei vor mir, als wäre ich dabeigewesen.
    Nadja lächelte. – Als Rikord seine zweimal dreißig Schritte am Strand getan hatte, einmal hin, einmal her, dachte er, es könnten seine ersten und letzten in Japan gewesen sein. Sein Boot ruderte zur
Diana
zurück, er sah den kleinen Kahei immer kleiner werden – der zweite Freund, der ihm aus den Augen ging, wie einst Golownin –, vielleicht war das Neue schon wieder zu Ende. Kahei hatte den einzigen Schlüssel zur Freiheit von sieben gefangenen Russen mitgenommen, und damit ging er ganz allein in die Höhle des Löwen. Um selbst heil aus der Sache herauszukommen, mußte er sein Land neu begründen. Rikord aber hatte jetzt gar nichts mehr in der Hand, er konnte nur noch
glauben
, daß er mit leeren Händen zum Ziel kam. Sie mußten, jeder für sich, neue Menschen sein. Aber Kahei war im
alten
Japan gelandet, und das bekam er gleich zu spüren.
    Wir hatten uns niedergelassen, ich auf dem Ungetüm von Bürosessel, sie, wie ein weißer Reiher, auf dem Hocker, den ich wieder in die Mitte gerückt hatte; ihr wallendes Kleid ließ ihn verschwinden, als säße sie hoch aufgerichtet in der Luft.
    Der Kommandant von Kunashiri ist

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