Loewenstern
weiter, was ich von Liliputanern und Riesen gelesen hatte, und er hörte zu, als begegne ihm die Geschichte zum ersten Mal. Er schlug das Portefeuille zu und legte es auf den zweiten Sessel, denn der Tisch wurde für das Gedeck beansprucht, das Geist hereintrug. Den Tee kredenzte der Hausherr selbst, und ich sah seinen Händen beim Eingießen zu; es waren eher diejenigen eines feinen Handwerkers als eines Gelehrten. Das Gebäck rührte ich nicht an; wie hätte ich das Wunder, das mir geschah, mit ordinärem Kauen begleiten dürfen!
Ich fuhr fort, vor Goethe, der mir zunehmend vertraut erschien, Swifts Phantasiegeschöpfe auszubreiten wie mein Kinderspielzeug,und fast unmerklich gingen wir dazu über, es für erwachsene Menschen zu deuten. Die Liliputaner und die Blefuscaner sind jedenfalls Engländer und Franzosen, sagte er, das sieht man daran, wie sie einander die Flotte streitig machen, mit der sie ihre Welt beherrschen wollen. So oder so bleibt es eine kleine Welt, und es muß den Invaliden aus Irland ordentlich gelockt haben, darin auch einmal den Riesen zu spielen. – Ich berichtete von den Seitenwechseln meines eigenen Lebens, die fast so bizarr gewesen seien wie diejenigen Gullivers; darüber schien er sich maßvoll zu amüsieren, hielt mich jedoch an, dem Schicksal mit Neugier zu begegnen und ihm den Dank nicht schuldig zu bleiben, denn nur im Wechsel zeige sich, ob wir selbst solid seien. Die Laputen, deren Herrschaft in der Luft hängt, auf einer schwebenden Insel, die ihren Untertanen jederzeit auf den Kopf fallen kann, müssen Deutsche sein, erklärte er, dafür spricht ebenso ihre mathematische Pedanterie wie das Grenzenlose ihrer Spekulation.
Ich gestand, daß ich mir auf das Volk der Riesen noch keinen Reim machen könne. – Weil Sie selbst dazugehören, entgegnete er schalkhaft, denn wie können die Riesen keine Russen sein? Sie haben eine schwere Hand, die erdrückt, was sie ergreift, aber in ihrem großen Leib läßt sich eine tiefe Seele ahnen, die bei weitem weniger vergiftet ist als diejenige der Zwerge. Als ich Goethes wohlwollendes Urteil über die Russen kennenlernte, kamen mir die Tränen, und er betrachtete mich aufmerksam. Ich weiß, daß Sie eigentlich ein Schwede sind, lächelte er, aber da diese unseren Gulliver sowenig gekümmert haben wie die Schweizer, können sie für ihn auch nur Menschen gewesen sein, und das ist doch auch etwas.
Doch nicht eben viel, wagte ich zu erinnern; denn was der Verfasser von Menschen hält, gibt er im Reich der Pferde zu verstehen, die bei weitem die besseren Geschöpfe sind als die menschenförmigen
Yahoos
, die nicht einmal als Haustiere taugen. Wir waren uns einig, daß das Land
Houyhnhnm
– wir versuchten umsonst, es auszusprechen, bis wir uns kringelten – dem Verfasser als Freilauf für seine Misanthropie gedient habe, welcher er hier alle Zügel schießen ließ. Denn die Mißgestalten der
Yahoos
sind gerade, was vomMenschen bleibt, wenn man jeden Schimmer von Wohlwollen von ihm abzieht, jede Hoffnung auf Besserung aufgegeben hat. Hier, sagte Goethe, zeige sich das Licht der Aufklärung als totale Sonnenfinsternis.
Ich gestand, daß ich das Halten von Pferden immer für Mißbrauch gehalten und mich gefragt hätte, womit diese edleren Geschöpfe die Herrschaft der Menschen verdient hätten. Sie sind mir ein schöner Gutsherr! sagte Goethe, aber was sollen wir erst von der Insel des ewigen Lebens halten? Sie ist eine noch abscheulichere Parodie, und diesmal auch eine triftige! – Sie verderbe einem gründlich die Lust, immer noch älter oder überhaupt alt zu werden und den Jüngeren durch Verkümmerung lästig zu fallen; aber wieder jung sein möchte man mit fünfzig Jahren fast ebensowenig. Wir streiften den «edlen Tithonos», von dessen Lager sich Homers rosenfingrige Eos erhebt, gewiß nicht mit Bedauern, denn sie hat dem schönen Hirtenknaben von einst zwar ewiges Leben gewünscht, doch ewige Jugend zu wünschen vergessen; nun dorrt er als Wurzelmännchen an ihrer Seite. Sie wird sich zu trösten wissen, dafür ist sie eine Göttin, sagte Goethe, aber merken Sie wohl: Homer nennt das Alterchen immer noch
edel
. Das Wort spottet des Spotts, Ermolai, das ist Dichterart. Die Gegenstände können nicht edel bleiben, aber der Blick, der sie verewigt, muß die Natur
beschämen
, wie Schiller tut. Gerade weil er die Dinge leicht so sehen könnte wie Swift, und noch erbärmlicher, traktiert er sie mit Noblesse. Das nennt man Gnade, die müßte
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