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Loewenstern

Loewenstern

Titel: Loewenstern Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Adolf Muschg
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Sie.
    Im
Angleterre
wird mich Isabelle nicht suchen. So bleibt ihr auch die Sorge erspart, daß sie übermorgen zum zweiten Mal Witwe werden könnte – auch wenn ihr ein toter Mann immer noch lieber sein sollte als ein verlorener.
    SALVE, Exzellenz.
    4 Um zwei Uhr früh gab ich den Kampf um meine Ruhe, diesen Widerspruch in sich selbst, auf und machte Licht.
    Wie bringt man eine Nacht zu, welche die letzte sein kann? Nüchtern jedenfalls, hatte ich mir vorgenommen, und wollte früh zu Bett; dann habe ich den einen guten Vorsatz doch lieber mit dem andern gebrochen. Eine schlaflose Nacht empfiehlt sich nicht vor einem Duell, das sagt einem der gesunde Menschenverstand. Die Schwere des Weins reichte so weit, daß ich nach Mitternacht im Armstuhl eingenickt sein muß. Und wem ein Traum beschert wird, der kann ja nicht ganz schlaflos geblieben sein.
    Ich hatte das Duell glücklich hinter mir, soweit diente der Traum meiner Wunscherfüllung. Es war ohne tödliche Blessuren abgegangen. Ich hatte, im Traum, die Absicht, den Grafen Tolstoi am Ohr zu treffen; statt dessen schoß er mir die Nasenspitze ab, und das Merkwürdige war: es blutete gar nicht. Vielmehr schien die Kugel meine Nase nur auf ihre natürliche Größe gestutzt zu haben. Dennoch war ich im Spiegel nicht wiederzuerkennen, denn «aufgeworfen» ist gar kein Wort mehr für eine Nase, die sich nicht einmal mehr rümpfen läßt. Hermann Löwenstern war platterdings zum Affen geworden und konnte sich nicht mehr sehen lassen, am wenigsten vor Frauen. Meine Traumfreunde fanden, daß man das verlorene Teil wieder anflicken müsse. Nogier lagerte in seiner Klinik einen Vorrat von Nasen, die zur Verfügung standen, seit die Grenadiere, für die sie bestimmt waren, bei Jena und Austerlitz gefallen waren. Doch die Wachsprothesen, die mir anprobiert wurden, wollten nicht haften und sollten mit einem Nagel am Gehirn befestigt werden; dagegen begehrte ich auf. Nun pappten und klatschten die Freunde an meinem Gesicht herum, daß mir wind und weh wurde, und ich fürchtete, unter ihren Kompressen zu ersticken. Man werde die Nasenlöcher verstopfen, hörte ich, und bis Nogier goldene geschmiedet habe, müsse ich durch den Mund atmen. Daß mir zur offenen Nase auch noch ein offener Mund zugemutet wurde, fand ich des Guten denn doch zuviel. Dann, erklärte Nogier, bleibe nur noch, mir ein Stück Fleisch abzuschneiden, das er in mein Gesicht nähen würde. Meine Freunde stritten, welche
Mutterstelle
– der Ausdruck ist mir geblieben – in Betracht komme; nachdem man mich an meinen Ohrensessel gefesselt hatte, setzte Nogier das Schlachtmesser an meinen Bauch, und ich fuhr auf, mit einem Schrei – aus ebendiesem Ohrensessel.
    Danach zog ich vor, nicht mehr zu schlafen. Ich faßte mich an die Nase und sagte mir, es sei immer noch wahrscheinlicher, daß ich um mein Leben käme als um meine Nasenspitze. Aber ich rüstete mich jetzt doch besser für den bevorstehenden Waffengang und hob einen Stuhl auf, mit gestrecktem Arm, um diesen zu stählen und meine Zielsicherheit zu festigen. Ohne Zittern brachte ich es auf zwei Minuten, mehr Zeit, als mir der Ernstfall gönnen würde.
    Vor Sonnenaufgang waren Nogier und ich an der verabredeten Stelle, ohne Arzt, einen Schweizer, der verschlafen hatte. Da näherte sich von der andern Seite der Lichtung eine Prozession. Vorweg, im weißen Ministrantenrock, ein Junge, der ein großes Kreuz in den Händen trug; es folgte ein schwarzgewandeter Pope, der mit tiefer Stimme eine Litanei intonierte und das Weihrauchfaß schwang. Dahinter Graf Tolstoi in der Uniform eines Gardeoffiziers, mit gesenktem Kopf und gefalteten Händen, den Dreispitz unter den Arm geklemmt. Den Schluß machte Schemelin mit zwei Zylindern; den einen trug er auf dem Kopf, den andern in beiden Händen wie einen Kelch des Herrn.
    Einen Steinwurf entfernt hielt der Zug an. Der Pope, weiterbrummend, stellte sich auf eine Rasenbank, vor der sich der Graf auf die Knie niederließ. Schemelin aber trippelte aus duftendem Gewölk auf uns zu, hielt auf halbem Weg inne, um den einen Zylinder zu deponieren, lüftete den andern und führte damit schwungvolle Komplimente aus. Herr Leutnant, näselte er, Graf Tolstoi lädt Sie ein, mit ihm zu beichten und dann das Mahl des Herrn einzunehmen. Auch der Herr Sekundant ist willkommen.
    Nogier und ich, der katholische Atheist und der Lutheraner, sahen einander an. Melden Sie dem Grafen, sagte ich schließlich, ich zöge es vor, zur Sache zu

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