Loewenstern
Betracht, die Schemelin aufjagen mußte. Plötzlich war eine Jagdflinte zur Hand, und mit vier Schüssen, keinem mehr, holte Tolstoi vier der armen Tiere vom Himmel. Er rupfte sie eigenhändig, Nogier nahm sie aus und briet sie
à la manière du chef
auf einem improvisierten Rost. Das kleingeschlagene Kreuz lieferte Brennholz, der Pope entzündete es mit seinem Bart, der Weihrauch diente als Brandbeschleuniger. Wenn künftig Blut fließen sollte, einigte man sich auf das englische, auch wenn Tolstoi die Engländer «blutleer» nannte. Am Ende umarmte er mich und ging so weit, mir Protektion zu versprechen; meine dürftige Montur war ihm nicht entgangen. Keine Frage, daß er über Verbindungen verfügt, sonst hätten ihn seine Eskapaden längst nach Sibirien gebracht. In Petersburg sei keine Frau vor ihm sicher, raunte Schemelin, und die Ehemänner wüßten, warum sie lieber beide Augen zudrückten, bevor er ihnen auch diesen Dienst selbst besorge.
Bei der Rückfahrt mit Nogier zitierte ich Kants Definition des Witzes: die Auflösung einer gespannten Erwartung in nichts. – Glauben Sie, es sei
nichts
gewesen, sein Schießzeug zu zinken? fragte er. – Woher wußten Sie, daß er das richtige aus dem Zylinder nahm? oder war auch das andere nicht ordentlich geladen? – Aber ja, versicherte er, Sie hätten ihn totschießen können. – Oder er mich. – Etwas muß man auch dem Glück überlassen, erwiderte er. – Also doch ein Gottesurteil! – Damit Sie an Ihr Glück
glauben
, erwiderte er ernsthaft, das soll Ihnen eine Lehre sein. Sie hätten schießen
müssen
, mein Freund. Ein
trou de cu
weniger. Ich habe ihm Brüderschaft verweigert. Aber
wir
trinken sie jetzt zusammen.
Vive la République!
Wie kann man einem solchen Mann etwas schuldig bleiben?
Ich habe kein Haus zum Bestellen, aber den Abschied von Isabelle habe ich mir verdient. Meine Todesangst war ehrlich genug.
Hat Isabelle
mich
geliebt oder ihr eigenes Zartgefühl, ihr großesHerz, ihre schuldige Sinnlichkeit? Sie war immer bereit, mir das Nötigste zuzuschießen – das
ihr
Nötige an Großmut und Selbstachtung. An Opferbereitschaft. Leicht komme ich nicht davon, denn sie ließ sich ihr Eigentum etwas kosten. Doch am Ende war es nur noch
ihre
Liebe – alles für mich, doch von mir bleibt nichts als der blinde Knecht an meinem Leib, der nichts Klügeres weiß, als ihre Liebe noch zu vergrößern. Wie kann ich ihrer würdig sein? Liebe macht blind – was aber, wenn sie sehend macht?
Chlebnikow ging als Kadett ins Bordell, behauptete, sich mit Frauen auszukennen, und verriet einen Trick, wie man sie wieder los werde. Mit Untreue komme man nicht weit. Frauen verziehen einem zu gern, und danach würden sie noch anspurchsvoller. Natürlich rede er von
Damen
. Denen sei die Liebe heilig, und sie warteten nur darauf, daß sie auf die Probe gestellt würde. Dagegen könne er nur eins empfehlen: Schäbigkeit, und zwar bodenlose. Nicht nur häßlich müsse man sich benehmen, sondern verächtlich. Ein dummes Lachen über einen gemeinen Witz, eine himmelschreiende Geschmacklosigkeit, eine nicht nur rohe Reaktion, sondern eine
blöde
. Ein dummes Lachen, ein vulgärer Rülpser, ein peinliches Gähnen – das erkälte eine Frau auf die Dauer beinahe schmerzlos.
Unwiderruflich
müsse man eine Frau enttäuschen, grausen müsse ihr, auch ein wenig ekeln: dann sei sie von Liebe geheilt.
Kein Weg, den ich gehen könnte, Exzellenz, schon gar nicht zu Ende. Ich habe wenigstens so viel Anstand, daß er mir zur Falle werden kann. Meine Schwächen hat Isabelle generös übergangen – daß sie dabei auch
mich
überging, nicht nur mein Schlimmstes, sondern auch mein Bestes, wollte sie nicht fassen. Wir konnten uns gegeneinander versündigen, wie wir wollten, das Bett war für einen Generalpardon gut. Aber keine Schamlosigkeit reichte aus, um die Scham zu überwinden, die sich zwischen uns immer wieder einschlich – vielleicht war sie das Ehrlichste an unserem Verhältnis. Davor gab es kein Entrinnen. Mir blieb nur die Flucht.
Bei einem Philosophen habe ich gelesen, Liebende schämten sich nicht, wenn sie sich einander gäben, sondern darüber, daß siesich nicht
ganz
geben könnten. Nein, das können sie nicht. Warum sollten sie es versuchen? Kein Mensch ist selbst ein Ganzes. Das läßt sich auch nicht durch Verdoppelung des Halben richten. Und wäre ich ein Ganzes, gehörte es nicht mir allein.
Ich war als Liebender nicht groß genug.
Was aber hat Isabelle getan?
Sie
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