Loewenstern
verlangte, sich zu verabschieden – Nogier hatte ihr meine Adresse hinterbracht. Am Nachmittag nach dem Duell, von dem sie nichts geahnt, kam sie ins
Angleterre
. Wir nahmen den Tee im Salon und unterhielten uns fast wie gute Bekannte. Was ich in ihrer Wohnung zurückgelassen hatte, besprachen wir mit keinem Wort. Aber ich fand es später in zwei Koffern auf meiner Suite; der große war derjenige ihres Mannes, mit dem sie einst aus Zweibrücken geflohen war. Jetzt hatte sie ihn für meine Abreise gepackt, alles gewaschen, geflickt und gefaltet, meinen Pfeifenbeutel nicht vergessen, auch nicht die paar Andenken aus meiner Kindheit. Von ihr selbst nur ein Zettel. «Und nun, mein Freund, leb in das Leben wohl.»
Das Duell war mir keine Träne wert gewesen. Jetzt aber heulte ich wie ein Schloßhund. Und sah Isabelle vor mir, wie sie sich vor der Tür des
Angleterre
zum Gehen wendet, für immer.
Die künstliche Nase blieb mir erspart. Ich behalte eine, die wieder lang werden kann. Haben Sie immer noch eine Verwendung für mich?
5 Exzellenz! Liebster Herr Pate! Sie fragen, ob ich bereit wäre, eine russische Gesandtschaft nach Japan zu begleiten. Sie
fragen!
Und ich ahne wohl, warum.
Der Gesandte des Zaren ist zugleich das Haupt jener Compagnie, die ich das Herz oder die Stirn hatte in der freien Presse an den Pranger zu stellen. Fürchten Sie, ich könnte als Begleiter eines
Resanow
in Widerspruch mit meinen Grundsätzen geraten? Siefürchten zu Recht. Ich bleibe dabei: die Kolonien sind eine Schande Rußlands, ein blutiger Fleck an der Krone Seiner Majestät.
Aber, Exzellenz, ganz von gestern bin ich nicht mehr. Einer, der heute tot sein könnte, verschwendet das geschenkte Leben nicht mehr an die Phantasie, die Welt müßte ganz anders aussehen, als sie ist. Wer ein Omelette machen will, muß Eier zerbrechen –
Ihr
Wort, und Sie haben auch den Mut gehabt, danach zu handeln – einen
traurigen
Mut. Die gesittete Welt dankt Ihnen dafür. Und da sollte ich mich zieren, Herrn Resanow nach Japan zu begleiten?
Nach Japan! Nein, dahin gehe ich nicht mehr, um Gullivers Reisen eine Korrektur nachzuliefern. Ich bin kein Schriftsteller – dazu gehört eine andere Sorte Mensch. Einen davon habe ich – noch vor Isabelle – in Paris kennengelernt. Herr von K. ist ein junger preußischer Offizier mit rundem Kindskopf, der sich mit seiner Schwester, die Hosenkleider trug, in der Nachbarschaft eingemietet hatte, und wir schienen ähnliche Ziele zu haben, denn wir trafen uns regelmäßig auf Spaziergängen. Aber länger als für ein kurzes Gespräch auf einer Parkbank hielt er sich nicht auf. Seine Zunge wirkte behindert, doch wenn er sich freigesprochen hatte, traktierte er auch einen Unbekannten mit so schroffen Ansichten, daß sie wie schwerwiegende Geständnisse wirkten oder wie unverlangte Indiskretionen. Er schien wissenschaftliche Studien zu treiben, wartete aber eigentlich auf einen Marschbefehl. Denn er wollte sich, obwohl Verächter der Uniform, der französischen Invasion Englands anschließen, um «ein unendlich prächtiges Grab» zu finden – diesen Satz ließ er so vergnügt fallen, daß ich voreilig auf Geistesverwirrung schloß. Zwar wußte er, nach eigenem Bekenntnis, mit jedem Tag weniger, ob er Monarchist oder Jakobiner sei, doch war er ein ungemein scharfer Kopf, der sich die Philosophie seines Landsmannes Kant zu eigen gemacht und aus seiner Erkenntniskritik für sich selbst die tiefste Verzweiflung geschöpft hatte – deren er übergangslos und nicht minder radikal spotten konnte.
Er habe, gestand er, den Gedanken an einen «gegensätzischen» Bauplan der Welt schon aus der evangelischen Unterweisung mitgenommen, wenn auch nicht aus Pastorenmund. Jeden Sonntaghabe er in seiner Vaterstadt – er hatte, wie Golownin, die Eltern früh verloren – vor den Glasfenstern der Marienkirche gesessen, auf denen aber nicht das Leben Jesu, sondern dasjenige des Antichrist abgebildet gewesen sei. Allerdings habe es sich, von Bethlehem bis Golgatha, wo der böse Feind umgekehrt am Kreuz gehangen habe, nur dadurch unterschieden, daß sein Gefolge gezackte Teufelsstatt sanfter Engelsflügel getragen habe, und statt eines Heiligenscheins sei ihm ein T – für «Teufel» – aus dem Kopf gewachsen. Sonst aber sei das Leben des schlechterdings Bösen ganz nach dem Muster des schlechterdings Guten angelegt gewesen, und darüber habe er nie mehr aufgehört nachzudenken. Es scheine, daß absolute Widersprüche sich nicht
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