Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Loewenstern

Loewenstern

Titel: Loewenstern Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Adolf Muschg
Vom Netzwerk:
gäben. – Sein Gesicht wurde, soviel ich im Dunkel sehen konnte, noch ernster. – Wissen Sie, Ermolai, sagte er, für diese Gesellschaft tauge ich nicht mehr, und die Schauspieler sehe ich sonst genug. – Ich sprach von dem hinreißenden Eindruck, den die Jagemann als Phädra auf mich gemacht habe, ich hätte noch nie eine so tragische Figur gesehen, und auch wenn sie weine, behalte sie ihre Singstimme, die mir recht ans Herz gegangen sei. Sie seigewiß eine der wunderbarsten Aktricen unserer Zeit. – Das findet der Herzog auch, bemerkte er kurz, es ist wahr, ich habe sie engagiert, aber jetzt ist das sein Revier. – Ich war dem Herzog im Löwensteinschen Haus vorgestellt worden, wo er ohne Allüre verkehrte, was ich den Gaben der Hausherrin zuschrieb, die er größter Vertraulichkeit würdigte. Aber mir war nicht entgangen, daß er vor allem die Nähe der Jagemann suchte; fehlte sie, so pflegte er sich bald wieder zu empfehlen. Daß er zwischen zwei Feuern stand, vermochte auch ein ungeschultes Auge zu bemerken; jetzt sah ich, daß es um Goethe ähnlich bestellt war. Er fand sich in der peinlichen Lage, mit einer von ihm protegierten Schauspielerin nicht nur um die Gunst seines Herrn wetteifern zu müssen, sondern auch um die Vollmacht für sein Theater, und ich begriff, daß mit ihm darüber nicht zu sprechen war.
    Doch unvermutet kam er selbst auf den Herzog, nannte ihn eine dämonisch begabte, aber im Grunde einsame Natur, einen Mann besten Willens, dem man gar nicht genug zugute halten könne. Ich fand mich einer Indiskretion gewürdigt, die unser Verhältnis so weit überzog, daß ich es mir nur als Selbstgespräch zu verstehen erlaubte. Es stand mir nicht zu, Goethe zu belauschen, auch nicht mit seinem Einverständnis. Aber sein Gesicht lag jetzt so sehr im Dunkel, daß ich nicht mehr darin lesen konnte.
    Seemann! sagte er plötzlich, bevor Sie gehen, müssen Sie sich stärken! griff in die Konfektdose und schob mir, ehe ich mich’s versah, die letzte Praline in den offenen Mund, wartete aber nicht ab, daß ich zu kauen begann, sondern erhob sich fast brüsk und reichte mir die Hand. – Sie haben mir eine gute Stunde geschenkt, sagte er, Herr von Löwenstern, verfehlen Sie nicht, mich Ihren Verwandten zu empfehlen. Und daß Sie mir Ihren Gulliver vollenden! Damit reichte er mir die Hand, und ich konnte nicht umhin, sie auf russische Art zu küssen. Der Kniefall unterblieb, da er meine Hand nicht losgelassen hatte, um mich daran noch einmal von Saal zu Saal zu führen, bis zur letzten Tür, in welcher der Diener Geist nur darauf gewartet hatte, mich in Empfang zu nehmen.
    Wir sehen uns gewiß wieder! rief Goethe mir nach, als er sichabwandte; und auf der Schwelle las ich noch, im Licht, das mir der Diener vorantrug, das Wort SALVE. Willkommen und Lebewohl.
    Exzellenz, jetzt kennen Sie die wenigen Begegnungen meiner fünfundzwanzigjährigen Geschichte, die mich zu überleben verdient hätten. Ich habe sie, statt ins Wasser geschrieben, auf Papier gesetzt, zu Ihren Händen; natürlich weiß ich, daß sie über meine Verhältnisse gingen. Katharina, Goethe – und auch Isabelle, um die verschwiegene Größe zu nennen, die meine Beichte beschließen soll. Sie mag keine Person von historischem Gewicht sein, aber sie ist mit ihrem Mann, einem deutschen Jakobiner, vor den Heeren der Koalition aus Zweibrücken nach Paris geflohen, auch zur Rettung einiger Illusionen über die Menschheit, die sich das Paar bewahren wollte. Die letzte wurde ihm von der Revolution selbst geraubt, als sie den Mann aufs Schafott brachte – irrtümlich, wie sich erwies, aufgrund einer Namensverwechslung. Aber ein abgeschlagener Kopf läßt sich nicht mehr aufsetzen; der Mann war sogar zu stolz gewesen, um sein Leben zu markten. Wie Isabelle danach das ihrige fristen sollte, blieb dahingestellt; doch da Abdankung gegen ihre Natur geht, fuhr sie fort, das Feuer der Hoffnung zu hüten, auch mit kleiner Flamme. Drei Zimmer konnte sie nicht mehr bezahlen, eins hat sie vermietet. Ich zog ein, und daß die Tür zwischen uns nicht dauerhaft verschlossen blieb, ist eine Geschichte, die ich nicht breitschlagen muß. Daß Isabelle sie als beispiellos betrachtet, steht auf einem andern Blatt. Wir haben es so vollgeschrieben, daß am Ende kein Wort mehr zu lesen war. Und als der Liebeskrieg in einen Wettbewerb mündete, wer den andern am empfindlichsten treffen könne, ohne ihn geradezu zu töten, ergriff ich die Flucht; das übrige wissen

Weitere Kostenlose Bücher