Loewenstern
kommen. – In Schemelins Buchhaltergesicht malte sich grenzenlose Bestürzung. – In diesem Fall gestattenSie, daß der Graf Ihre arme Seele in sein Gebet einschließt und Gott um Vergebung bittet für das, was er tun muß. So hat er es jedesmal gehalten. – Wirklich verharrte der Graf in Andachtspose, der Pope beweihräucherte ihn, Schemelin aber setzte den Hut auf und nach kurzem Lauf wieder ab, um sich kniend am Wechselgesang zu beteiligen; darüber schwebte die Knabenstimme des Kreuzträgers wie eine Taube des Heiligen Geistes. Widerwillig bewegt, hörte ich den Wohlklang, der mein letztes Stündlein einläutete, zum Himmel steigen; Tolstoi repetierte jetzt die Namen derer, die früher daran hatten glauben müssen, und quittierte jeden mit einem inbrünstigen Amen. Als schließlich mein eigener Name laut wurde, muß ich doch recht blaß gewesen sein, denn Nogier flüsterte mir zu: Nicht verrückt machen lassen,
Le Vennesterne!
Gott ist noch nie mit den Frommen gewesen!
Die Propaganda der Gegenseite hatte wohl eine Viertelstunde gedauert, der Junimorgen war frisch, ich fröstelte auch so, aber wenn die Sonne noch höher stieg, drohte sie, mich zu blenden. Endlich erhob sich Tolstoi und erwartete Nogier hoch aufgerichtet, der die gebotene Distanz abzumessen begann und auf mich zustakte, begleitet vom trippelnden Schemelin. Der bewaffnete Zylinder wurde verschoben. Der ausgreifend weiterschreitende Nogier vergrößerte den Abstand noch einmal und deponierte seine Börse an meinem neuen Standort. Dann traf ich mich mit Tolstoi in der Mitte vor der zylindrischen Urne, über welche der Pope noch einmal das Kreuz schlug, bevor ich hineingreifen durfte. Tolstoi bediente sich mit der Waffe, die übrigblieb.
Alle folgenden Schritte hatten die Sekundanten minutiös ausgehandelt. Die Duellgegner blickten sich in die Augen, dann verbeugten sie sich voreinander. Nogier rief:
Attention!
Schemelin:
Marchez!
auf welches Kommando wir uns umdrehten und gleichzeitig voneinander wegbewegten. Hatten wir unseren Ausgangspunkt erreicht, so blieben wir stehen, mit dem Rücken zueinander, bis Schemelin schrie:
Tournez!
Wir gehorchten und hoben gleichzeitig die Waffe. Das nächste Kommando mußte lauten:
Monsieur Le Vennesterne: Feu!
Hatte ich abgedrückt, so bekam Tolstoi zehnSekunden Zeit zur Antwort – wenn er nicht entscheidend getroffen war.
Feu!
Ich warf die Pistole in hohem Bogen ins Gebüsch.
Darauf entspannte ich mich, atmete Zug um Zug und wandte mich von meinem Gegner ab. Der letzte Blick hatte mir gesagt, daß er seine Waffe keineswegs hatte sinken lassen; ihre Mündung deutete unverwandt auf mich.
Auf die folgenden Sekunden hatte ich mich in der Nacht vorbereitet; eine Pflanze sollte es sein, die erste beste, der mein letzter Blick galt. Es war der Trieb einer jungen Linde am Fuß ihres Stammes; seine Blätter waren frisch und kindlich groß. Ich zählte sie, es waren elf, und begann von neuem. Nichts anderes ging mir durch den Sinn; nicht Katharina, nicht Goethe, auch nicht Isabelle; und doch sah ich im Augenblick, als ich KLICK hörte, Golownin vor mir, der seine Stiefel zurücknahm, als ich auf seine Bedingung, mir die meinen zu putzen, nicht eingegangen war.
Tolstois Waffe hatte versagt.
Das KLICK war schon eine kleine Ewigkeit vorbei, ich stand immer noch Aug in Auge mit meinem Lindensproß. Meine Arme hatten sich leicht geöffnet, in grenzenloser Stille. Als jemand laut zu lachen anfing, drehte ich mich um. Es war der Pope. Er hatte sich den falschen Bart abgerissen und bog sich geradezu. Tolstoi blieb ernst. Doch er hatte die Waffe gesenkt.
Das Nachspiel, Exzellenz, war echt russisch. Die Sekundanten standen zusammen und einigten sich darauf, den Ausgang als Gottesurteil zu betrachten. Unter diesen Umständen sei der Ehre der Beteiligten genug getan und – darauf legte Schemelin höchsten Wert – auch der Ehre Rußlands. Man beschloß, den Fall statt mit Bruderblut mit Wodka zu begießen. Der Pope warf sein Kostüm ab, breitete es, mit dem Chorrock des Ministranten, als Sitz auf die Rasenbank und zog eine Flasche aus dem Hosenbund. Sie ging von Mund zu Mund, die Szene verwandelte sich zum
déjeuner sur l’herbe,
der Kreuzträger in Ganymed, der aufwarten mußte, bis ihnTolstoi auf sein Knie zog. Mit keiner Miene gab er zu erkennen, er nehme die Sache leicht. Vielmehr lag ihm erst recht am Beweis, daß er auch mit ein paar Schluck Wodka im Leib noch einen Vogel im Flug traf – leider kamen nur Enten in
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