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Loewenstern

Loewenstern

Titel: Loewenstern Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Adolf Muschg
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nur berührten, sondern im Kern zusammenfielen.
    Mit Denken war es für ihn allerdings nicht getan. Er mußte
dichten
, um sein Prinzip Fleisch und Geist werden zu lassen und etwa die Wesensgleichheit von Kuß und Biß, Katastrophe und Paradies aufzudecken. Wenn er einmal ebenso durchdringend redete, wie er schweigen konnte, schien das Reden selbst Gedankenverbindungen zu erzeugen, über die man sich nur lachend entsetzen oder entsetzt lachen konnte. Als Dichter erhob er so ungeheuerliche Ansprüche an sein Werk, daß er sich sicher sein durfte, ihnen nicht zu genügen. Er arbeitete an einem Stoff, den er «Pestkönig» nannte und mit dem er demonstrieren wollte, daß Siege an die Bedingung gebunden sind, daß sie dem Sieger nichts nützen. Er hatte im Oderbruch eine Braut sitzen, die er mit Liebesbriefen katechisierte, die eigentlich Lehrstunden waren. Er beteiligte mich an der Lösung der Knacknüsse, die er ihr aufgab, und da es auf Dichtung ohnehin nicht ankomme, versuchte er, auch mich zum Dichter zu schmieden, und nahm den schwersten Hammer dazu; das war seine Art, mich als seinesgleichen zu behandeln.
    Am Vorabend seines Aufbruchs nach Boulogne verbrannte er den größten Teil seiner Notizen. Ich aber möge getrost weiterschreiben; man könne Papier auch
durch Schreiben verbrennen
. Als die Invasion abgeblasen wurde, kam er marode zurück und reiste nach Mainz, um dort den Arzt zu gebrauchen, aber da ich ihmspäter wieder in Paris begegnet bin, ohne daß er mich auch nur grüßte, halte ich für möglich, daß ihm die Krankheit nur zum Verbergen einer geheimen Mission gedient hat. Allerdings hatte er mir früher gestanden, eigentlich verlange er von der Welt nichts mehr, als zu sterben – oder Bauer in der Schweiz zu werden.
    Wer mag, wer darf sich da noch einen Dichter nennen? Das einzige, was ich in diesem Fach geleistet habe, war gerade gut genug, mir eine unvergeßliche, wenn auch ungenützte Audienz bei der Weltgeschichte zu verschaffen. Soll ich wirklich nach Japan, so gelobe ich, nichts weiter als Ihr treuer Buchhalter zu sein. Ich will ein Journal führen, von Tag zu Tag, das nur für Ihre Augen bestimmt ist. Nichts von Zensur – auch nicht derjenigen, zu welcher die Selbstgefälligkeit einen Schreiber so leicht verführt, um seine Arbeit schon an der Quelle zu trüben. Ich weiß: Eitelkeit ist die stärkere Zensur als Scham oder Angst. Als Ihr geheimer Gesandter in Japan möchte ich, an bescheidener Stelle, nur die neuen Grundlagen zu befestigen helfen, auf denen Rußland der Welt begegnen sollte – als Riese den Zwergen; als Zwerg angesichts all dessen, was beim besten Willen zu tun und zu wünschen übrigbleibt.
    Ich selbst wünsche mir nichts, als im Einzelnen unbestechlich zu sein. Denn die Welt steht oder fällt mit jeder Einzelheit, und Japan ist wohl fremd genug, unser Urteil erst zu verwirren, dann zu revidieren. Man fängt besser mit der Hypothese an, daß dieses verschlossene Reich – trotz Kaempfer, trotz Laxmann –
noch nie
dargestellt worden ist. Also will ich nichts als der Floh sein, den Sie Resanow in den Pelz setzen; bei seiner Handelsware scheint das Bild nicht unpassend. Da will ich mich einnisten, mir sogar versagen zu stechen – nach dem Blut dieses Herrn dürstet mich nicht! – und mich nur vom besseren Überblick nähren, den mir mein Versteck hoffentlich gewährt. Denn ein Gesandter wird ja dafür gesandt, daß er dem fremden Landesherrn ein Beglaubigungsschreiben überreicht. Da möchte ich dabeisein, um Ihnen, verehrter Pate, das ferne Land, die fremden Leute seriöser zu beglaubigen.
    Zweigeteilt also ist sie geplant, unsere Expedition. Die
Newa
unter Kapitänleutnant Lisjanski – ein dunkler Ehrenmann, mit Verlaub! – segelt nach Russisch-Amerika, um es zu versorgen und Pelze zu laden, für den Handel mit China. Nur das andere Schiff, meine
Nadeschda
, soll von Petropawlowsk Japan anlaufen, den erlaubten Hafen Nagasaki, wo sie Herrn Resanow absetzt. Doch der Kapitän der
Nadeschda
, Adam von Krusenstern, ist der Verantwortliche des ganzen Unternehmens. Ihm untersteht auch die
Newa
, und wenn beide Schiffe ihren Auftrag erfüllt haben, wollen sie im Hafen von Macao wieder zusammentreffen und gemeinsam die Weltumsegelung vollenden.
    Krusenstern, wohlgemerkt! und wohlgetan! Es kommt mir nicht zu, einer allerhöchsten Person auf die Schulter zu klopfen, und doch habe ich, der erklärte Nichtchrist, Gott für diese Ernennung gedankt. Sie werden mich – nicht wahr? –

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