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Loewenstern

Loewenstern

Titel: Loewenstern Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Adolf Muschg
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Paris. Ich wollte Talma sehen, in der
Comédie Française
– vor allem aber den Ersten Konsul, der in Begleitung seiner Joséphine erwartet wurde. Ich saß schon in meiner Loge, als es draußen krachte, und das Theater leerte sich auf das Gerücht, daß eine Höllenmaschine hochgegangen sei. Sie hatte ein paar Dutzend Menschen das Leben gekostet, aber natürlich Bonaparte gegolten, dessen Kutsche dem Attentat knapp entgangen war. Aber er dachte nicht daran, seiner Joséphine deswegen eine Vorstellung der «Phèdre» zu versagen. Das Theater füllte sich nur noch zur Hälfte; ich war, in meiner damals noch tadellosen Uniform des Gardemarine-Leutnants, in meiner Loge sitzen geblieben, erlebte den Einzug des herrschenden Paares in derjenigen genau gegenüber und verfolgte sein Mienenspiel durch mein Glas. Im Gesicht Joséphines spiegelte sich jede Entwicklung auf der Bühne, dasjenige des Ersten Konsuls aber blieb unbewegt, auch wenn er hie und da ruckartig den Kopf drehte, wie ein Vogel, der nur sieht, was Feind oder Beute werden kann. Die Liebestragödie war ihm nichts als eine Pause seines Lebens von Schlacht zu Schlacht. Eine Bombe, die ihn verfehlt hatte, existierte schon im nächsten Augenblick nicht mehr. Das käsige Gesicht mit dem römischen Schnitt schliefnicht, aber es ruhte, im Zustand einer Teilnahmslosigkeit, die etwas Hypnotisches hatte. Ich sah das verschlossene Gehäuse eines Geistes, der nicht zu lesen war, wenn er sich mit sich selbst beschäftigte. Wer sich produzierte, und wäre es ein Talma, blieb ihm gleichgültig, aber wer ihn aus dem Dunkel beobachtete, machte ihn hellwach. Plötzlich wandte er sein starres Auge in die Richtung meines Glases, in dem es so vergrößert erschien, daß ich mich erschrocken zurücklehnte. Ich habe schon dieser oder jener Hoheit ins Auge geblickt, von Alexander bis Carl August. Ihre Augen sind fahrig. Der Blick Bonapartes ist fest und leer. Er wird den Feind lähmen, bevor ihn sein eiserner Schnabel an der schwächsten Stelle trifft.
    Jetzt hält mich in Paris nichts mehr. Bleibt nur die Frage, wie sich unser Verkehr ohne den Portier des
Angleterre
künftig gestalten soll. Ich bin gespannt, wie die
Persönlichkeit
aussieht, die Sie als nächste mit dem Zugang zu Ihrer Person betrauen. Bald wird mit einer längeren Unterbrechung zu rechnen sein. Fürs erste aber erreichen Sie mich jedenfalls p. A. Löwenstern in Weimar, denn mein Abschiedsbesuch bei Goethe war nicht gelogen. Er soll wissen, daß sich der Weg geöffnet hat, den er mir als erster zu zeigen geruhte.
    6 Ich schreibe dies schon aus Petersburg, wo mich Krusenstern, beschäftigt, wie er ist, mit offenen Armen empfing, obwohl verschränkte Arme so etwas wie sein Kennzeichen sind. Abwarten, die Dinge auf sich zukommen lassen, sagt sein ruhiger Blick, doch sein Mund ist auch ohne Worte sprechend geblieben, und ein feines Lächeln kräuselt die überlange Oberlippe wie früher. Dabei hat der Ärger schon begonnen, denn alles ist im Verzug. Die beiden alten Schiffe, die Lisjanski in England günstig, doch wohl nicht uneigennützig besorgte, müssen nachgerüstet werden und kommen die Krone bereits teurer zu stehen als neue, die er in Hamburg hätte haben können, freilich ohne den persönlichen Rabatt, den er gewohnt ist, und ohne die Spesen, die er in Englandmachen kann. Unsere
Nadeschda
mußte schon dreimal umgeladen werden, um zuerst Herrn Resanow, dann sein Gefolge und schließlich die Geschenke für Japan zu akkommodieren. Dazu gehört ein Spiegel, größer als ein Stadttor. Die Fregatte ist so überfrachtet, daß Krusenstern nicht absieht, wie er noch zwei Passagiere, die in Kopenhagen zu uns stoßen, dazuladen soll. Mit einem von ihnen soll ich mein Kabuff teilen, dem Astronomen Horner, einem Schweizer, der noch mit dem Vermessen der Elbmündung beschäftigt ist. Und in England sollen wir die Vorräte komplettieren, wofür wir gleich nochmals umladen dürfen.
    Dabei finden auf der
Nadeschda
ununterbrochen Trink- und Abschiedsgelage mit allen möglichen Würdenträgern statt. Drei Japanesen, die wir zur Repatriierung mitführen, werden hin und her geschoben, denn sie stehen überall im Weg und reden nur untereinander. Auch zwei Verwandte Krusensterns sind von der Partie, denen noch kaum die Stimme gebrochen ist. Die Brüder Otto und Moritz von Kotzebue haben kürzlich ihre Mutter verloren, und Krusenstern nimmt es auf sich, sie unerquicklichen Verhältnissen eine gute Weile zu entziehen. Denn ihr Vater,

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