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Loewenstern

Loewenstern

Titel: Loewenstern Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Adolf Muschg
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der bekannte Verfasser von Rührstücken, widmet sich nur seinem Theater und geht auch schon wieder auf Freiersfüßen. Ferner hat es das Schicksal, oder wer immer, so gefügt, daß auch – wollen Sie raten? – Graf Tolstoi an Bord geht, als
Chef de garde
für den Gesandten, und ebenso natürlich folgt ihm sein Schatten Schemelin. Resanow will in Japan groß auftreten, während es Tolstoi eher auf Amerika abgesehen hat. Jedenfalls: Petersburg ist ihn los, und wir Seeleute können sehen, wie wir mit dem Ballast dieser
jeunesse dorée
zurechtkommen. Auch wenn Krusenstern die Duellwut des jungen Herrn hoffentlich im Zaume hält, läßt ihn dieser bereits merken, daß er ihm nichts zu sagen hat – da können die nächsten zwei Jahre auf dem engen Raum der
Nadeschda
ja heiter werden. Tolstoi verriet übrigens mit keiner Miene, daß wir uns kennen.
    Als der Kapitän mein Gesicht sah, sagte er: Löwenstern, vor August kommen wir nicht weg. Haben Sie von den Ihren denn ordentlich Abschied genommen? Das ist besser für Sie, als hier den Last-und anderen Tieren im Wege zu stehen. Ich gebe Ihnen zehn Tage Urlaub.
    Ich kann ihn brauchen. Denn der Galopp von Paris nach Petersburg hat mich mitgenommen – und der Aufenthalt, den ich mir in Weimar gönnte, um in der Nähe Goethes noch einmal Atem zu schöpfen, noch mehr. So nütze ich jetzt die Wartezeit für eine kurze Rechenschaft – die Möglichkeit dazu wird sich nicht leicht ergeben, bis ich, so Gott will, heil zurückkomme und Ihnen meinen Bericht
en bloc
einhändigen kann. Auf Verbindungen von den Kapverdischen Inseln, Brasilien, Peru oder wo immer wir anlegen, rechnen wir besser nicht. Denn wie wäre Geheimhaltung zu gewährleisten, wenn man seine Post auf gut Glück dem ersten besten fremden Segler anvertraute! Sie könnte, wenn der Krieg ausbricht, morgen schon in feindliche Hand geraten. Immerhin habe ich Krusensternen vorsorglich wissen lassen, daß ich ein Journal zu führen gedenke, und seine gefurchte Stirn krauste sich noch etwas mehr. Denn natürlich bleibt der offizielle Reisebericht seine Sache, und er hat sich das Privileg dazu vom Zaren eigens bestätigen lassen.
Sir,
sagte ich – sonst reden wir deutsch miteinander –, ich schreibe nur für meinen persönlichen Gebrauch. – Für Memoiren sei es aber noch etwas früh; er lächelte schon wieder, und als ich hinzufügte: meine Notizen ständen ihm selbstverständlich zu Diensten, sagte er nur noch: Dann schreiben Sie leserlich, wenn ich bitten darf!
    Da wir unter den Passagieren mehr als genug Deutsche mitführen – die Wissenschaftler zeigen sich schon
vor
der Reise naseweis und präpotent –, werde ich mich um so mehr vorsehen müssen. Aber ich verspreche, Exzellenz, daß unser Journal das letzte sein wird, was ich bei einem Schiffbruch hoch über dem Kopf durch die Fluten retten will, wie Camões seine «Lusiaden».
    Ich habe mich an der Moika in eine Pension eingemietet; für zehn Tage lohnt es nicht, nach Rasik hin- und wieder zurückzureisen. Ich brauche die stille Erleichterung meiner Familie nicht zu erleben, daß sie den verlorenen Sohn zwei weitere Jahre verloren geben darf. Und was die Braut betrifft: Herr von Essen hat den Frieden benützt, um sich mit seinen Töchtern für eine SchweizerReise zu verabschieden. Zwei Jahre sind lang; da kann so mancher junge Mann kommen und sehen, daß Minchen nicht nur artig und klug ist, sondern eine Partie. Sie verkörpert meine Aussicht auf ein seßhaftes Leben, und wie sollte, wie dürfte ich mich ihr jetzt hingeben? Vielleicht ängstigt mich die drohende Ruhe des Ehestands insgeheim noch mehr als eine Weltumsegelung. Diese nimmt jetzt meine ganze Phantasie in Anspruch und kann einem Seemann jeden Tag zum Verhängnis werden. Wie dürfte ich da die Erwartungen einer jungen unschuldigen Seele an mich binden?
    Dies also meine vorläufig letzte Nachricht. Es kommt mir schon wie eine Ewigkeit und zugleich wie gestern vor, daß ich auch meinen letzten Spaziergang durch Paris gemacht habe. Der Vorgeschmack des Nichtwiedersehens prägte mir jede Straßenecke mit schmerzhafter Dringlichkeit ein. Auch in Weimar könnte ich zum letzten Mal gewesen sein. Von Goethe habe ich nicht Abschied genommen, doch er vielleicht von mir, und das ist fast ein wenig, als wäre das Ende der Welt schon eingetreten.
    Ich reiste über Frankfurt, Fulda, Eisenach und Erfurt in wenigen Posttagen an, mit Mantelsack und einem Koffer – ich habe nur denjenigen Isabelles behalten. Ich hatte

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