Loewenstern
sehe die Remise, in der eine zierliche schwarze Kutsche steht. Auch die Hinterpforte ist offen, ich kenne mich aus, trete über eine kurze Treppe in den geschlossenen Garten, sehe das Gartenzimmer, in dem ein hoher Ohrensessel steht; darin sitzt ein sehr alter Herr im grauen Schlafrock und liest. Nun, da ein Luftzug sein Schläfenhaar kräuselt, blickt er auf. Überrascht scheint er nicht; er lächelt, als er mich heftig atmen sieht. Exzellenz, keuche ich, ich segle nach Japan!
Seine Augen weiten sich, und ich sehe den Schalk darin leuchten. Löwensternchen, Löwensternchen, sagt er, ohne die Stimme zu heben,
gambare, gambare!
Ich verstand jedes Wort,
gambare
hieß hopp! nur zu, gib dir Mühe! Hingerissen vernahm ich den Wechsel seiner Anrede, ich war Löwensternchen, ich empfand die Zärtlichkeit des Namens bis auf den Grund. So ein Glück überlebt kein Mensch! Und als mir im Traum auch wirklich die Sinne vergingen, wurde ich wach, vom Gefühl durchdrungen:
du darfst leben!
Vor dem Fenster graute der Morgen.
Espenberg ist ein Frühaufsteher; wir begegneten uns im Flur. Können Sie nicht schlafen? fragte er, als er mich tanzen sah. – Es ist mir zu wohl, sagte ich. Er musterte mich. Lassen Sie sehen, sagte er und zog mich in sein Ordinationszimmer. – Ich kleidete mich aus; er untersuchte mich beim Schein seines Öllichts und wollte seinen Augen nicht trauen. – Ich finde Ihren Ausschlag nicht mehr, sagte er. – Was suchet Ihr den Lebenden bei den Toten? antwortete ich und lachte, als er mich entgeistert ansah: Ich bin rein, Espenberg. Ich fahre nach Japan, mit Golownin.
5 Mit Anteilnahme, schreiben Sie, haben Sie meinen Brief gelesen, aber auch mit Sorge. Sie wollen sich für meine Versetzung verwenden, vom unwirtlichen Norden des Vaterlandes in den bekömmlichen Süden. Ich soll das Weiße Meer mit dem Schwarzen vertauschen; da wird sich meine Misere legen. Da wird sich, glauben Sie, auch eine Position finden, in der ich die Dienstpflicht mit meiner wahren Neigung zusammenbringe: der zur Schriftstellerei.
In meinem Expeditionsbericht können Sie nichts dergleichen gefunden haben. Ich habe Ihnen einen Abfallhaufen vor die Füße gekippt, auch Eindrücke, die keineswegs flüchtig waren, mehr hingeworfen als festgehalten, wie es der Dienst eben erlaubte: auch wollte ich Hornern nicht neugierig machen. Keine Rechtschreibung, vieles unlesbar. Die Zumutung fing schon bei der Handschrift an. Daß Sie sich die Lektüre nicht verdrießen lassen würden, blieb eine kühne Hoffnung; in Archangel hatte ich sie längst verloren. Und doch, Sie ließen mich nicht ganz im Stich. Ohne Ihre Güte hätte ich die Mittel nicht gehabt, für meine Anbefohlenen etwas zu erübrigen – um von den
hüllischen Schwefelbädern
zu schweigen, und Espenbergs Honorar. Und jetzt entnehmen Sie meinem Klagelied, daß an mir «ein Schriftsteller verlorengegangen» sei.
Dann habe ich nicht deutlich machen können, verehrter Pate, daß mir in Archangel sehr viel
mehr
verlorengegangen ist. Sie nennen es meine Gesundheit und verschreiben mir eine Versetzung in das warme Neurußland – ich soll mich erholen. Aber glauben Sie im Ernst, dafür sei Schriftstellerei das Mittel der Wahl, nur weil meine Briefe hoffentlich lesbarer sind als mein Journal? Leider habe ich auch eine Ahnung, was
Schreiben
heißt. Und neben dieser Strapaze wäre Solombol das reine Idyll und sogar die Krätze eine Erholung – wenigstens enthebt sie dem, der mit ihr geschlagen ist, der Himmel- und Höllenfahrt, die ich bei wirklichen Schriftstellern beobachten mußte. Meine Pariser Bekanntschaft, der preußische Junker von K., wußte, warum er noch lieber Bauer in der Schweiz werden wollte.
Und jetzt soll einer, der zum Seeoffizier verdorben ist, wenigstensSchriftsteller werden? Ja doch, ich habe einst im Mai damit geliebäugelt, selbst noch in Archangel dies und das angezettelt, sogar – lachen Sie nicht! – eine Farce mit dem Titel «Resanow». Eine Chance zur Aufführung hätte sie noch weniger als die Gratwanderungen des Herrn von K. – selbst Goethen soll es nicht gelungen sein, aus seinen himmelschreienden Komödien mehr als Langeweile zu schöpfen. Verstehen Sie mein Gefühl, wenn Sie mir mit Ihrer Aufforderung,
im Ernst
zu schreiben, das Tor zur Genesung aufzustoßen glauben?
Am Anfang war das Wort.
Schon falsch.
Im
Anfang, heißt es bei Luther. Der Anfang ist nicht der Ausgangspunkt einer Geschichte. Er ist das Medium, in dem sie erst zu sich selber kommt.
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