Loewenstern
der Hafenmauer steht, kann ich jetzt ruhig stehenlassen. Er sieht nicht so aus, als käme er je weg; etwas rumpelt darin, soll es nur, diesen Koffer mache ich nicht auf. Diesen Gefallen tue ich den Gaunern nicht. Vielleicht ließe er sich danach gar nicht mehr schließen.
Plötzlich setzt sich jemand neben mich auf die Bank; er raschelt, scheint ein Käsebrot auszupacken, es riecht entsprechend, und ich höre ihn schmatzen. Im Augenwinkel sehe ich einen Sombrero und spanische Stiefel, aber etwas sagt mir: es ist Tolstoi.
Da fährt sie, sagt er mit vollem Mund, nach Japan, die
Diana
.
Und in der Tat, draußen, keine Seemeile entfernt, zieht eine Fregatte am Horizont; das Takelwerk des Dreimasters läßt sich exakt erkennen, auch die Figürchen, die sich auf den Rahen tummeln und Segel setzen, eins nach dem andern. Dabei macht das Schiff kaum Fahrt, man wird ihm noch lange nachsehen können.
Das sind die Gewinner, sagt mein Nachbar.
Was haben sie gewonnen? frage ich zurück, vom Geräusch seines Mundwerks angewidert.
Den Wettbewerb um die größte Liebe, sagt er.
Und wer ist denn da auf dem Schiff?
Golownin, sagt er, und Rikord natürlich. Chlebnikow. Und natürlich Moor.
Da bin ich dabei, sage ich so gleichmütig wie möglich.
Das Schiff ist abgefahren, sagt er, und ein strenger Geruch von Käse und Schweiß weht herüber.
Dann kehrt es wieder um, sage ich. – Ich gehöre auf das Schiff.
Da sehen Sie ja, wie es fährt, sagt er.
Tatsächlich würde es bald hinter der Landzunge mit dem gestreiften Leuchtturm verschwunden sein.
Können Sie, frage ich jetzt doch heftig zurück, den Mund nicht zumachen, wenn Sie kauen? Und erst reden, wenn Sie geschluckt haben? Müssen Sie spucken? Haben Sie gar keine Erziehung gehabt?
Ungerührt weiterschmatzend, sagt der Mann: Sehen Sie mich doch einmal an.
Nein, sage ich entschieden. – Ich schließe jetzt die Augen und zähle auf zehn. Dann haben Sie Ihren Koffer dort weggenommen und sind verschwunden.
Es juckt Sie ja schon wieder, grinst der Mann. – Sie fahren schon, junger Mann. Aber Sie fahren
mit mir
.
IV
Gryllenburg. Die größte Liebe
1 Mein Aufenthalt ist weitläufig, doch übersehbar. Er hat eine gipsweiße, gotisch gezogene Gewölbedecke und drei Fensterluken, so tief in die Mauer eingelassen, daß die Nischen als Sitze dienen könnten, fiele ihre Grundschräge nicht gegen das Zimmer ab. Das Bett im Winkel ist ein Holzkasten mit einem Himmel aus graugestreiftem Drillich. Ein Schrank wie ein Hochaltar, gleichfalls grau. In der Mitte ein Schreibtisch auf Löwenfüßen; davor ein schwarzbezogener Sessel wie eine Maschine, fast unverrückbar, doch die einzige Sitzgelegenheit, will man sich nicht auf eines der zwei Bärenfelle fallenlassen, die auf den Steinfliesen liegen wie breitgetreten und ihre Pranken mit lose wirkenden Klauen in alle vier Richtungen strecken. Der Raum mißt fünfzehn auf fünfzehn Schritt.
Das übrige Mobiliar sparsam, doch wuchtig: eine Truhe, in der man eine Familie beisetzen könnte; ein bräunlicher Globus, mit Schrift bedeckt, bis zur Kappe, auf die ein Halbwüchsiger gerade noch hinuntersehen könnte. Der Weltkörper hat einen massiven Eisenfuß, in Gestalt eines gebeugten Atlas, und hängt fast unbeweglich im Bügel; um ihn zu drehen, muß man ihn mit beiden Armen umfangen. Aus Eisen sind auch fünf Kerzenständer, die nur ein Erdbeben umwerfen könnte; der Raum bleibt dämmerig auch bei hellem Tag, der entfernt durch die Fensterluken scheint; diese müssen verglast sein, denn ich spüre keinen Durchzug, doch scheint sich die Luft irgendwie zu erneuern. Eine übermannshohe Standuhr erinnert an Big Ben, doch sie tickt nicht mehr; ihre Zeiger stehen bei zwanzig Minuten nach vier. Keine Feuerstelle; der Raum hat eine gleichmäßige und, auch wenn ich sehr leicht bekleidet bin, annehmbare Temperatur. Den einzigen Schmuck der weißen, nicht ganz regelmäßigen Wände habe ich zuerst für Kinderzeichnungen gehalten. Eine zeigt ein einzelnes Mannsbild in russischer Kapitänsuniform, die andere eine Reihe kleinerer Riesen ohne Hut, die von gepanzerten Zwergen an der Leine geführt werden.Unter der rechten Fensterluke hat jemand in einer flachen Wasserschale eine Insel aus frischem Grün angelegt. Lindenzweige, auf Eisenigel gesteckt, bilden eine wohlbedachte Komposition, und auch wenn kein Sonnenstrahl darauf fällt, bleibt sie eine helle Augenweide. Nur auf dem Schreibtisch verbreitet das Öllicht etwas wie ewige Nacht.
Die Kassetten
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