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Loewenstern

Loewenstern

Titel: Loewenstern Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Adolf Muschg
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heißt: vorsehen?
    Nun, man hatte Espenberg zugetragen, in Petersburg werde für die nächste Weltumsegelung gerüstet, unter dem Kommando Golownins.
    Wassili Michailowitsch? Sind Sie ganz sicher?
    Aber er hat ja nur den Auftrag, die Kurilen zu vermessen.
    Die Kurilen? fragte ich. – Auch Kunaschir? Auch Iturup? Aber da hat Chwostow gewütet!
    Darum soll die
Diana
ja auch ein Kriegsschiff sein. Damit man nichts zu fürchten hat. Die Japanesen treiben ja keine Hochseeschiffahrt mehr. Sie wollen nur ihren Frieden, und den wird ihnen Golownin schon lassen.
    In dieser Nacht, Exzellenz, blieb ich schlaflos. Im Fenster meines Gastzimmers stand der volle Mond. Seine Strahlung brachte die Stille der Nacht zum Vibrieren, meine Nerven bebten mit. Vor mir sah ich die gläserne Bucht von Nagasaki.
    Das habe ich Ihnen noch nicht erzählt.
    Resanow und sein Gefolge waren an Land, sie warteten schon den dritten Monat auf Antwort des Schoguns; die
Nadeschda
aber ankerte draußen, im Mondschatten des Inselbergs, den die Holländer Papenberg getauft haben. Meine erste Nachtwache war vorbei, und ich forderte Ablösung, mit einem Schlag der Schiffsglocke. Es war zwei Uhr früh, die Bucht erloschen bis auf die Laternen der Wächterschiffe, nur der Mond verbreitete ein geisterhaftes Licht. Da erhob sich ein einzelner Ton aus dem Inselgehölz des Papenbergs. Stark setzte er ein, fast schrill, ein scharfer Luftstoß, der in einen langgezogenen überging; und je leiser er wurde, desto gelassener, bis er fast nur noch hörbarer Atem schien. Dann geriet er ins Schwanken, sank wie ein erschöpfter Vogel, fing sich noch einmal und schwebte über dem Wasser hin, bis er sich im Wellengeräusch verlor.
    Und dann, wiederum brüsk, der nächste Einsatz. Die Stimme brach schon beim Lautwerden, schnellte um so entschiedener empor, in große Höhe, auf der sie innehielt, um dann zum zweiten Mal sinkend den längsten Weg in immer tieferes Schweigen zu suchen, mit dem sie allmählich,
leibhaft
, eins wurde. Und jetzt war es das Schweigen selbst, das zu schwingen fortfuhr, als wäre es ein unverklungener Ton. Zugleich wehte ein Hauch des Lebens von Bäumen und Büschen herüber und griff in mein Haar; ich fühltemich durchlässig werden für den Atem der Welt. Er formte mich zu einem Ohr, in dem er sich fing und immer wiederkam, um immer wieder zu gehen, gelassener als mein Herzschlag. Es war der Puls der Schöpfung selbst, in dem ein Ich, kein Ich mehr, wurde und verging.
    Als das Spiel vorüber war, zündete nur noch der Mond in meine leer gewordene Seele. Ich zögerte, die Hängematte zu suchen. Der Gedanke, mit dem ich einschlief, war: so etwas hast du zum ersten Mal gehört, und zum letzten Mal.
    Ich täuschte mich. Drei Tage später, nach meiner nächsten Wache, hatte ich kaum an die Glocke gerührt, da setzte der Flötenton wieder ein, und ich begann zu begreifen, daß ich ihn locken konnte, aus dem Dunkel ins Leben. Im Wald des Papenbergs wartete jemand darauf, daß ich ihm ein Zeichen gab. Und von nun an tat ich es wirklich, jede Nacht. Nach Einfall der Dämmerung durfte ich den Zeitpunkt wählen; der unbekannte Flötenspieler war immer zur Antwort bereit. Sie hatte den Ton einer Frage, die mich in ihr Verstummen mitnahm, bis sie keine Frage mehr war.
    Das war mein Japan, und dabei ist es geblieben.
    Das Instrument werde
Schakuhatsch
genannt, erzählte mein Tolk, wer es spielen lernt, kann hören, wer er ist. Ich fürchtete den Tag, der mich von diesem Flötenton schied.
    Aber in der Nacht vor Ankerlichten erlebte ich eine Überraschung. Ich ließ es Mitternacht werden, dann schlug ich die Glocke; alles blieb still. Dann aber tauchte an der Stelle, wo der Ton immer hergekommen war, ein ganz neuer auf, nicht rein, kratzend sogar, aber unverkennbar die Stimme einer Geige. Der unbekannte Spieler beherrschte das Instrument noch nicht, aber hatte angefangen, es zu lernen. Und diesen Anfang zeigte er mir vor, an unserem letzten Tag.
    Daß ich geweint haben muß, zeigten mir die frischen Tränen, mit denen ich den Mond von Nagasaki über Espenbergs Garten aufgehen sah. Sie spülten mich in den Schlaf, und der leichte Schlaf bescherte mir einen Traum.
    Ich bin jung. Ich laufe, gestiefelt und gespornt, über einen weitenPlatz auf eine vornehme Hausfront zu; die Stadt ist menschenleer, es muß früh am Morgen sein. Ich erwarte die Pforte bewacht, aber sie ist nicht einmal verschlossen. Atemlos stürze ich in einen kleinen Hofraum mit Katzenkopfpflaster,

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