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Loewenstern

Loewenstern

Titel: Loewenstern Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Adolf Muschg
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Koffer, in dem auch die unentbehrlichsten Bücher liegen. Es ist eine Last, diese Habseligkeiten immerzu mitzuschleppen, aber ich kann die Zeit, die ich totschlagen muß, ja nicht angenagelt verbringen, darf mir auch die Sehenswürdigkeiten der Insel – sie erinnert plötzlich an den Hafen von Portsmouth – nicht entgehen lassen. Es gibt einen Park, ein Theater, einen Jahrmarkt, von deren Besuch viel abzuhängen scheint. Also bewege ich mich, schwer behindert, unausgesetzt unter Menschen, die mich schieben oder puffen; zugleich bin ich so allein wie Robinson, kenne keine Seele, verstehe auch keine der hier gesprochenen Sprachen.
    Da man bei der Besichtigung ermüdet, sind überall Rastplätze, Ruheräume, sogar Schlafsäle eingerichtet, in denen sich ganze Familien niederlassen, die bepackt sind wie ich. Ich habe alle Mühe, noch Platz zu finden; zu dunkel darf der Raum nicht werden, damit ich meine Übersicht behalte. Aber eigentlich kommt es nur auf den Koffer an, darum klemme ich ihn beim Sitzen zwischen die Beine. Als ich eingenickt bin, gegen meinen Willen, und wieder zu mir komme, ist der Raum leer und fast dunkel, und ich sehe sogleich: Säbel und Mantelsack sind weg. Solange mir nur der Koffer bleibt! Jetzt kann ich ihn viel besser bewachen, ihn allein, und bin fastdankbar für die Entlastung vom übrigen Zeug. Immerhin sollte ich mich allmählich um mein Schiff kümmern. Wann genau fährt es ab, und an welchem Pier? Um nachzusehen, müßte ich den Koffer öffnen, in dem meine Papiere sorgfältig zusammengeschnürt sind. Aber wie leicht könnte mir beim Auspacken eines unbemerkt entfallen, oder ich verlegte es in der Aufregung selbst! Ich lasse den Koffer doch besser ungeöffnet und mache mich auf den Weg; mein Bestimmungsort ist natürlich das Schiff, aber erst wäre wieder ein gesicherter Ruheraum willkommen, denn meine Schlafsucht ist überwältigend. Es wird! rede ich mir gut zu, während ich vor Müdigkeit kaum noch gehen kann, und plötzlich beginnen sich auch Hindernisse zu häufen. Jeden Augenblick begegne ich Leuten, die mich um einen Dienst bitten. Einer Mutter hüte ich das Kind, während sie ihren Mann sucht, einer alten Frau helfe ich die Treppe hinauf, dafür muß ich den Koffer kurz aus der Hand geben, aber aus den Augen lasse ich ihn nicht und kehre gleich zu ihm zurück. Allmählich gerate ich in die für Hafenstädte typischen Viertel, wo schon die Blicke der Leute anzeigen, daß man seines Lebens nicht sicher sein kann, viel weniger seiner Habe. Es ist noch gnädig, wenn mich eine Gruppe junger Leute nur bittet, einen Polizisten in ein Gespräch zu verwickeln, damit sie unbemerkt verduften können. So lange versprechen sie, meinen Koffer zu hüten; aber nachdem ich mit dem Polizisten viel dummes Zeug geredet habe und, das Schlimmste befürchtend, an die verlassene Ecke zurückkehre, steht mein Koffer noch da, allein und verlassen auf der Straße. Die Menschen sind doch besser, als man denkt! Also bin ich zu weiteren Diensten bereit, mit denen ich mir wahrscheinlich das Leben rette; dabei bleibe ich auf Kohlen. Einmal finde ich den Koffer, den ich im Stich lassen mußte, wirklich nicht mehr; da rennt mir ein dunkler Boy nach und drückt ihn mir in die Hand. Er ist auch bereit, ihn weiter nachzutragen und zu bewachen, wenn ich mich irgendwo auf eine Bank legen sollte; und das muß ich jetzt unbedingt. Doch wenn ich durch halbgeschlossene Augen blinzle, sitzt der Boy immer noch auf meinem Koffer und blickt aufs Meer hinaus; es ist ganz leer, merkwürdigerweise. Vielleicht droht ein Sturm,und alle Schiffe haben Segelverbot; dann hätte ich um so weniger Eile und könnte die Augen getrost ganz schließen.
    Als ich sie wieder öffne, sehe ich mit einem Blick: der Boy ist verschwunden, aber der Koffer noch da. Wenn ich ihn anfasse, stelle ich aber fest: das ist gar nicht mehr mein Koffer, sieht ihm nicht einmal ähnlich und ist außerdem federleicht. Eine Katastrophe, anderseits kommt sie mir nur zu natürlich vor. Der Verlust bestätigt ja nur endlich meinen schwarzen Verdacht. Ich wundere mich selbst, daß sich mein Entsetzen in Grenzen hält; nun habe ich das Gröbste hinter mir. Die Papiere sind weg; ich weiß nicht, wann und wo ich abfahre; ich weiß noch, wer ich bin, nur beweisen könnte ich es nicht. Ich fühle noch Kleingeld in der Tasche, das die Taschendiebe verschmäht haben. Wer im Gedränge einen Koffer festhalten muß, ist ihnen wehrlos ausgeliefert. Den Pappkoffer, der allein an

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