Loewenstern
der Nußbaumtür sehen aus, als wären sie mit Schnitzwerk gefüllt; von weitem erinnert es an Figuren aus der Passionsgeschichte. Aus der Nähe ist zu erkennen, daß der Künstler nur der Maserung nachgeholfen hat. Doch die Tür läßt sich öffnen; hinter einem Stück Korridor leuchtet linker Hand ein ganz heller, überraschend großer Raum, der mit Trögen und Wannen an den Waschsaal der Kadettenanstalt erinnert, obschon man angesichts der Rinnen im Fußboden auch an ein Schlachthaus denken kann. Allen Wänden entlang laufen beschlagene Rohre, die sich eiskalt anfühlen und in regelmäßigem Abstand mit Hähnen bestückt sind. Da dieser Saal fensterlos ist, kann man sich Licht und Luft erst erklären, wenn man die Augen erhebt. Es gibt keine Decke, doch sieht man auch keinen Himmel; der Blick wird durch einen höher liegenden Dachvorsprung abgefangen. Man scheint hier keinen Winterfrost fürchten zu müssen, die Temperatur im Badesaal ist frischer, doch nur wenig kühler als im Inneren meiner Klausur.
Das Dachgebälk über dem Waschsaal scheint übrigens Teil einer Festungsanlage zu sein, denn man glaubt, den Ansatz eines gedeckten Wehrgangs zu erkennen. Um sich Übersicht zu verschaffen, müßte man ins Freie treten können; und tatsächlich entdecke ich am Ende des Waschsaals neben dem Verschlag, in dem ein Abort eingerichtet ist, eine gleichfalls mit Latten verkleidete Tür. Stößt man sie auf, so steht man am oberen Ende einer Eisentreppe, die mit drei Stufen in einen gefangenen Hof hinunterführt, ein von turmhohen Wänden eingefaßtes unregelmäßiges Viereck, das mit Schutt und Trümmern bedeckt ist, als wären früher Teile der umgebenden Mauern abgestürzt oder niedergebröckelt. Dabei wirken sie unversehrt und sind in Lücken und Ritzen von Moos oder Grasbewachsen. Auch die Trümmer in der Hofgrube sind teilweise schon zu Kies und Sand verwittert, nur fehlt hier jede Spur von Grün, und in der Tat empfängt das Geviert kein unmittelbares Sonnenlicht. Nach dem hellen Badesaal wirkt seine Atmosphäre gedämpft, obwohl es an der offenen Luft liegt. Doch bewegt sie sich sowenig wie in der Tiefe eines Sodbrunnens; die langstieligen Gräser auf den Mauervorsprüngen stehen wie gemalt. Ganz in der Höhe ist, vom Dachgewirr fast zugebaut, ein blasses Stück Himmel zu sehen, doch am Tag zeigt es weder Wolke noch Vogelflug und in der Nacht keine Sterne, auch geregnet hat es in meinem Hof noch nie. Doch schon am ersten Tag habe ich mich in die kleine Wüste hinausgewagt, den einen oder andern Brocken in die Hand genommen und wieder hingelegt – nicht immer da, wo ich ihn aufgelesen habe. Und als ich in die Klause zurückkehrte, fand ich auch sie verändert.
Auf dem Tisch stand ein Tablett, zugedeckt mit einer silbernen Haube, und die Uhr hatte auffällig zu ticken begonnen; die Zeiger waren gegen fünf gerückt. Ich war gespannt auf den Schlag des Läutwerks, vor allem aber hatte ich Hunger. Als ich die Haube hob, kamen eckige Schälchen zum Vorschein, in denen noch dampfende Bissen von Geflügel und Wild angerichtet waren, gedünstetes Gemüse und grüner oder durchsichtiger Salat; ferner zwei Lackschalen mit Deckel, eine mit weißem Reis gefüllt, die andere mit einer braunen, nach Ingwer riechenden Suppe, in der samtweiche weiße Klöße schwammen. Kein Brot, kein Wein, aber ein Wasserkrug und ein Glas und eine Garnitur Holzstäbchen in gefaltetem Papier.
Ein Gedeck dieser Art ist mir zuletzt im Hafen von Nagasaki begegnet; die
Tolks
brachten unser Essen auf Booten noch warm auf die
Nadeschda,
und ich gehörte, mit Horner, zu denen, die es sich munden ließen, während die Mehrheit bei der Schiffsküche blieb. Tolstoi hatte verbreitet, die Japanesen wollten uns vergiften, um sich dann des Schiffs zu bemächtigen.
Beim Essen meldete sich das Gedächtnis langsam wieder zurück; ich kam zu mir wie nach schwerem Schlaf. Meine Geschichtevergegenwärtigte sich jedoch nur stückweise; nur an den Geigenton vom Papenberg erinnerte ich mich, als wäre er gerade verklungen. Allmählich glaubte ich, hinter das System meiner Erinnerung zu kommen. Sie bewahrt nur Ereignisse auf, von denen ich
geschrieben
hatte. Ich bin offenbar eingeladen, diese Tätigkeit fortzusetzen, denn als erstes habe ich auf dem Tisch das dafür nötige Werkzeug entdeckt. Daß mein neuer Ort mit japanesischen Attributen ausgestattet ist, erstaunt mich nicht; vielleicht sollte es mich ermuntern. Ich trage einen fast federleichten ockerfarbenen
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