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Loewenstern

Loewenstern

Titel: Loewenstern Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Adolf Muschg
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durchglüht man und verkühlt sie geschwind. Was davon bei dieser Behandlung nicht zerspringt, ist nun fähig, entoptische Farben hervorzubringen
.
    Und wenn ich springe? Euch ins Gesicht springe?
    Die mäßig starke Spiegelscheibe
– das trifft’s. Ein Teufelskerl bin ich nie gewesen. Kein ganzer Russe, auch kein ganzer Deutscher. Mein Wille, irgend etwas
ganz
zu sein, hielt sich in Grenzen, soviel ich weiß. Soviel ich von mir verriet. Ich gab mich als Springinsfeld und schien’s zufrieden, wenn man den Schein gelten ließ. War ich ein Spieler? Dann hätte ich doch einmal Glück haben müssen. Ich blieb auch als vierter Offizier der
Nadeschda
ein Leichtgewicht, tat meine Pflicht, auch einmal einen Freundschaftsdienst, wie dem geplagten Horner. Sie suchten mich, wenn sie keinen Besseren fanden, holten sich ein Ja und überhörten mein Aber. So kommt man über die Runden, doch ist Klagemauer sein ein Lebenszweck? Am Gefälligen hängt der Geruch des Subalternen. Für wen war ich jemals eine zwingende Besetzung, und wofür?
    Ich habe das ganze Mittelmeer unsicher gemacht, ohne meiner selbst sicher zu werden. In Neapel Lady Hamilton geküßt, nicht nur die Hand, und was habe ich mir darauf eingebildet! – bis mir aufging, daß ich nur Objekt ihrer Wette mit Lord Nelson gewesenwar. Am Bosporus habe ich in Badehäusern auch Männer kennengelernt, worauf die Todesstrafe stand. Um ihr zu entgehen, wollte ich Muslim werden, aber der Mufti lachte nur: statt an Allah glauben Sie doch besser erst an sich selbst! Überall reichte es mir gerade zum Hornberger Schießen, und auch dafür kam ich meist zu spät; fast wäre ich, statt gegen England oder Napoleon, gegen den Affen Tolstoi gefallen.
    Wissen Sie, Exzellenz, was Gulliver sagte, wenn er, glücklich wieder bei Frau und Kindern, zufällig in den Spiegel blickte?
So nicht,
sagte er zu seinem Gesicht. Verreisen! Nichts wie weg!
    Tränen, sagte Isabelle, bedeuten nicht, daß die Seele schmilzt. Es sind überfließende Schalen des
Zorns
.
    Ein Glück, daß es in meinem Aufenthalt keinen Spiegel gibt – auch nicht im Waschsaal. Die Scherbe, die ich in meinem Trümmerhof gefunden habe, zeigt nie einen ganzen Mann. Rasieren – wozu? Dafür würde auch ein Messer benötigt. Ich bekomme nur Stäbchen. Das Japanesenmäntelchen ist meine Anstaltskleidung. Das Wasser: schwefelhaltig. Ich bin zur
Kur
in der Gryllenburg.
    Kein Messer. Aber eine Bibel.
    Sie war schon zu Rasik in Gebrauch – Doktor Martin Luthers
gantze Heilige Schrifft Deudsch.
Es könnte mein fünfter Tag in der Anstalt gewesen sein, als ich zu lesen anfing und auf die bekannte Stelle stieß: VND GOTT DER HERR SPRACH/ES IST NICHT GUT/DAS DER MENSCH ALLEIN SEY/JCH WIL JM EIN GEHÜLFFEN MACHEN/DIE VMB IN SEY.
    Erst war
von allerley Thier
und
allerley Vogel
die Rede, welchen der Mensch Namen geben darf.
Aber für den Menschen ward kein Gehülffe funden/die vmb jn were
, also wird ihm die Brust geöffnet und eine Rippe entnommen, und was herauskommt, findet seine Billigung.
Das ist doch Bein von meinen Beinen/vnd Fleisch von meinem Fleisch/Man wird sie Mennin heißen/darumb/das sie vom Manne genomen ist.
Dann lesen wir von Vater und Mutter, die der Mensch verlassen wird, um an seinem Weibe zu hangen, VND SIE WERDEN SEIN EIN FLEISCH.
Vnd sie waren beide nacket/der Mensch vnd sein Weib/vnd schemeten sich nicht
.
    Inzwischen hat sich auch bei mir eine Frau gezeigt. Meine Aufsichtsperson heißt Nadja und hat in dieser Eigenschaft Goethes Brief geöffnet.
Sie schemete sich nicht.
    Was soll das heißen:
in den ruhigen Hafen der Ehe!
schrie ich sie an. In die Klapsmühle habt ihr mich gesteckt, um schreiben zu lernen! Wie lächerlich muß ich mich machen, bis man mich für unschädlich hält?
    Wem möchten Sie denn schaden? fragte sie. – Sie rasen wieder, Herr von Löwenstern! Kommen Sie, da weiß ich was Besseres. – Und begann sogleich, meinen Gürtel zu öffnen.
    Graf Tolstoi behauptet, es gebe eine Affenart, die jeden Konflikt durch Vögeln löse. Nur ein lauter Ton, schon bietet sich ein Hinterteil an.
    Wer glauben Sie eigentlich, daß ich bin? stöhnte ich, nachdem sie meinem Gefühl die Spitze gebrochen hatte, handfest und sachdienlich.
    Das versuchen wir herauszufinden, Herr von Löwenstern, sagte sie. – Aber erst brauchen wir einen Guß.
    Sie zog mich in den Baderaum, begoß mich über und über, dann trocknete sie beide auf ganz eigene Art, und schon drohte ich mich wieder zu vergessen. Aber diesmal widerstand

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