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Loewenstern

Loewenstern

Titel: Loewenstern Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Adolf Muschg
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Körper gefangen wie Rudersklaven im Bauch der Galeere und dürften ihr Elend nicht einmal wahrhaben. Da man es ihnen nicht ansehe,sehe man es ihnen auch nicht nach. Vielmehr unternehme man alles, um es ihnen durch die Zwangsjacke der Verkleidung einerseits abzudressieren, anderseits weiter zu vergiften. Man unterlasse nicht einmal schlüpfrige Komplimente, schwafle etwa von einer auffallend zarten Männerhaut oder schwärme von einem amazonenhaften Körperbau. Dabei würde sich der Laie nur wundern, welchen Kompromissen und Naturspielen das Auge des Arztes am nackten Menschenleib begegne. Das Pöbel stoße erst bei der Leichenwäsche darauf, und dann heiße es: Deckel drauf und fort mit Schaden! Es sei viel, wenn der volkstümliche Aberwille noch von einem Rest Pietät gedämpft sei.
    Dabei wäre Respekt zu
Lebzeiten
der Ärmsten viel angebrachter gewesen, wenn die vorgebliche Sitte denn erlauben würde, den vermeintlichen Schaden als Vielfalt gelten zu lassen und ebenso findig zu traktieren, wie sich die Natur in Sachen des Geschlechts selber zeige. Denn ihr gehe es, wie der unerschrockenen Wissenschaft, um den
Versuch
, und um Reglemente foutiere sie sich mit Vergnügen. Darum solle man ihre Triebe, immer auch kostbare Antriebe der Phantasie, statt zu verpönen, lieber walten lassen und mit unbestechlichem Blick registrieren, wohin sie führten.
    Und wie findest du das? fragte Nadja.
    Es entspricht meiner Erfahrung, sagte ich.
    Löwenstern! sagte sie strahlend, wir haben zusammen nur
ein
Geschlecht!
    Holla! rief ich. – Wir sind durch!
    Wir sind die Größten, die Besten, die Geilsten! schrie sie laut und fiel mir um den Hals, und zugleich, wie es schien, in Ohnmacht, aber es schien nur so, denn alsbald bemächtigte sie sich meiner wie ein stürmischer Liebhaber. Wir kamen, wie es kam, und vergingen wie nichts.
    Wir haben es auch weiter zusammengelegt, unser Eines Geschlecht, Exzellenz – lesen Sie mich immer noch? –, und dabei unsere Phantasie noch weniger geschont als unsere Organe. Am «wechselseitigen» Gebrauch unserer Geschlechtseigenschaften schreckte unsnichts mehr, oder fast nichts – viele lernten wir miteinander gar zum ersten Mal. Auch wenn der Verfasser der verbotenen Schrift Schweizer ist – nicht einmal er verpflichtet das Geschlecht, das er für so variabel hält, deshalb zur Neutralität. Die Variationen sind nicht unbeschränkt. Zum Glück ist der Trieb stärker als das Gedächtnis, und der überwiegend weibliche Partner immer noch einfallsreicher als der andere – ich bin nicht sicher, ob aufgrund ihres
männlichen
Geschlechtsanteils, für den Nadja sich immer neue Vornamen einfallen ließ, die ich zu Kosenamen verzärteln durfte. Darin sind slawische Sprachen unübertroffen, und so hielt ich mit der Zeit alle ihre polnischen Liebhaber einmal im Arm, und die besten sogar mehrmals. Nur eine Stelle an Nadjas Leib blieb unentwickelt – die Mundlippen, jedenfalls zum Kuß. Hier sollte ich nicht eindringen, schon gar nicht mit der Zunge – als wäre sie durch Worte vergiftet, in denen ich Nadja immer über gewesen bin, auch wenn ich die ihren als treffender empfand. Rotkäppchen durfte ich mit der Zunge versuchen, aber Mund auf Mund oder gar Zunge gegen Zunge: das ging Nadja zu weit. Vielleicht wirkte die alte Hurenmutterwarnung nach: laß den Kerl alles machen, was er will, Kind, nur bitte keine Intimitäten! Aber auch ein Witz über ihre Hemmung löste diese nicht auf. Ich will nicht verhehlen: das genierte mich. Wir hatten nur noch
ein
Geschlecht – und ich war immer noch Nadjas Kunde!
    Aber weder mein männliches noch mein weibliches Teil wäre auf die Idee gekommen, die Nadja – nennen wir ihn wieder so – gelassen aussprach, und das nach einer besonders glücklichen Partie: das nächste Mal brauchen wir einen Zeugen.
    Das Wort riecht nach Trauung und Lebenswierigkeit, aber wie sich zeigte, war es frivoler gemeint, oder ernsthafter.
    Denn statt der Standuhr – ihre Zeit hat ausgedient, ihr Ticken verhallt ungehört – und an ihrer Stelle steht nun die Gestalt eines fremden Ritters, der allerdings nur aus Rüstung besteht; der schwarzen Rüstung eines Samurai. Sie ist hohl, doch in die Dunkelstellen von Helm und Visier sieht man unwillkürlich ein Gesicht hinein, und die Leere blickt grimmig. In dieser Gestalt muß den gefangenen Russen der Tod erschienen sein.
    Doch ist der Dritte in unserem Bund immer öfter mein einziger Gefährte; denn ich bin wieder tagelang allein. Nadja wird

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