Loewenstern
Befreiung wird dauern. In Ochotsk, das die
Diana
ansteuert, ist nichts und niemand für diesen Notfall gerüstet. Der Platzkommandant kann Rikord nur raten, in Irkutsk persönlich zu verhandeln; vielleicht sogar in Petersburg. So läßt er das Schiff unter dem Kommando des Ersten Steuermanns Rudakow zurück und macht sich im einbrechenden Winter auf den Weg, auf Hundeschlitten erst, schließlich zu Pferd: Er istlange nicht mehr geritten. Beim Queren einer Schlucht fällt sich sein Tier zu Tode, er kommt mit einem gebrochenen Bein davon und wird nach Irkutsk transportiert, wo er zum ersten Mal vom Einfall Napoleons erfährt. Jetzt hat der Zar Dringenderes zu tun, als sich um eine Handvoll Gefangener am Ende der Welt zu kümmern. Als Rikord wieder gehen kann, erhält er Ordre, in die Kurilen zurückzusegeln und sich Gewißheit zu verschaffen, ob die Kameraden überhaupt noch am Leben sind. Also zurück nach Ochotsk und wieder auf nach Kunaschir. Der Dolmetscher, eine von Chwostows Geiseln, inzwischen Russe, wird in der «Bucht des Verrats» abgesetzt und kehrt mit einer Hiobsbotschaft zurück: die Gefangenen seien tot, man habe sie als Reisdiebe hingerichtet.
Rikord begreift erschüttert, was Golownin im Sommer nicht wahrhaben wollte: Japan hat Chwostows Überfall als Kriegserklärung betrachtet und seine Stützpunkte im Norden zu Festungen ausgebaut. Aber die Habseligkeiten der Gefangenen sind offenbar abgeholt worden; Rikord gibt die Hoffnung nicht auf. Um ihr Gewicht zu verschaffen, entschließt er sich jetzt, Gleiches mit Gleichem zu vergelten. Der Zufall führt ein japanesisches Handelsschiff vorbei; er kapert es mit einer Kriegslist, wobei einige Japanesen ertrinken, und nimmt den Kommandanten gefangen. Dieser scheint ein Mann von Rang.
Takada ya Kahei
, sagte Nadeschda, war der Chef eines großen Fischereiunternehmens, und als ihn Rikord nach Petropawlowsk entführte, betrachtete er sich als Geschäftsführer Japans. Und Rikord war so klug, ihn nicht als Geisel zu behandeln. Auf der Überfahrt teilte er die Kapitänskabine mit ihm. Miteinander reden konnten sie nicht, sie verständigten sich durch Gesten und Taten. Als Kahei die Hängematte verschmähte, verzichtete auch Rikord und legte sich auf den Fußboden, der Große neben den Kleinen. Aber der Kleine war der bessere Seemann, das bewies er, als ein Sturm aufkam. Ohne ihn wäre die
Diana
gar nicht nach Kamtschatka gekommen.
Seit Nadeschda im fließenden Gewand einer römischen Vestalin auftritt, sitzt sie gerade aufgerichtet auf dem gepolsterten Hocker,der sich plötzlich in die Klause gestohlen hat, und ihre Sprache ist unerbittlich gepflegt.
Auch in Petropawlowsk wohnte er mit Rikord unter einem Dach, mitsamt seiner Dienerschaft.
Wo hatte er Diener her? fragte ich.
Sie waren von sich aus mitgekommen, fünf ältere und ein kurilischer Junge, der sich um keinen Preis von ihm trennte; sie drängten sich dazu, mit Kahei zu sterben. Dabei hatte Rikord alle freilassen wollen, wie Yone, Kaheis Reisegefährtin, die ihn begleitet hatte, im Einverständnis mit seiner Ehefrau. Rikord führte sie durchs Schiff, während seine Matrosen Kaheis Sachen auf die
Diana
umluden, und Vorräte für zwei Jahre.
Vorräte auch?
Wovon hätten Japanesen in Petropawlowsk leben sollen? Von Grütze und Borschtsch? Rikord ließ Kahei sogar die Waffen. Seinen Abschied von der Freundin hätte er sich gefühlvoller vorgestellt. Es konnte ja für immer sein. Aber sie verneigten sich nur voreinander, das war
mehr
.
Ich lächelte, das Erzählen konnte ich jetzt getrost Nadeschda überlassen.
Woran erkennt man einen guten Mann? Am Stil seiner Umgebung. Als Kaheis Gefangenschaft bekannt wurde, begab sich seine Ehefrau auf Pilgerfahrt und teilte seine Entbehrungen, wenigstens aus der Ferne. Und sein bester Freund verschenkte alle Güter und lebte als Mönch.
Dabei scheint Kahei nichts entbehrt zu haben.
Alles
, sagte Nadeschda. – Und klagte nicht. Er hatte nur eine einzige Sorge: seine Anbefohlenen.
Ich erfuhr, daß Takada ya Kahei aus Awaji stammte, der Insel des Puppenspiels, ein Kind einfacher Fischer. Er zeigte sich tüchtig, betrieb den Fischhandel bald in so großem Stil, wie die Gesetze des Landes erlaubten, und erschloß die nördlichen Inseln. Er handelte mit Ainus und Kurilen, ohne sie über den Tisch zu ziehen; das Militär, das ihm folgte, hatte seine Skrupel nicht. Doch ohne sein Geschäft wäre die Besetzung gar nicht der Mühe wert gewesen.Er war der wahre Gründer
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